Iradj Zohari -
”Das Misstrauen”
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Personen:
Dr. Mity, Dramaturgin bei der Fernsehanstalt
Mika, Theaterregisseur
Suri, Trinkbudenbesitzer bei der Fernsehanstalt
Stimme aus dem Rundfunk
Die Bühne
Das Büro einer TV-dramaturgin. Eine Wanduhr, die läuft und 18. Uhr zeigt. Ein Arbeits-tisch. Ein Telephonapparat. Ein Fernseher. CD-Player, Stühle. Bücher. Bilder von Thea-teraufführungen an den Wänden, Kühlschrank, etc.
Dr.Mity ist allein. Sichtlich nervös, läuft hin und her, bleibt stehen und schaltet das Radio ein.
Stimme aus dem Rundfunk:: Unser hochgeschätzter Führer hat im Anschluss seiner Rede ge-sagt, Zittat: “Die verräterisschen antirevolutiären Elemente und Vasallen des in-ternationalen Imperialismus sind immer noch, direkt und indirekt am Werk, vor allem in den Medien: in der Presse, im Funk und Fernsehen. Die Verräter müssen handfest gemacht und schnellstens aus unserer Mitte entfernt werden.
Dr.Mity schaltet das Radio wütend aus. Langes Pause. Sie denkt lange, nimmt den Hörer auf, zögert, dann wählt sie eine Nummer, sobald die Leitung hergestellt ist, legt sie den Hörer wieder auf. Pause. Telephon klingelt. Sie nimmt den Hörer ab.
Dr.Mity Am Apparat, Was kann ich für sie tun? Schweigen Ach du bist es? Na unsere heißersehnte Blondine, wie geht´s? Pause. Sie wird durch das, was sie hört trau-rig Was? Manu ist heute nacht nicht nach Hause gekommen? Pause Hat er auch nicht angerufen? Pause Ja, gestern aßen wir zusammen, aber heute habe ich ihn noch nicht gesehen. Pause Warum sollen Sie ihn festgenommen haben? Pause Mach dir keine Gedanken, ich werde dir, sobald ich weiß, wo er steckt anrufen.
Pause. Sie legt den Hörer auf die Gabel. Nervös läuft sie hin und her. Langes Pause.Sie geht zur Tür, öffnet sie, sieht in den Gang, fühlt sich sicher, wählt eine Nummer. Pause
Dr.Mity Feri? Hey! Pause Ja, ich lebe noch. Pause Kannst du dich an die Geschichte des Schneiders in unseren Schulbüchern erinnern, der für jeden seiner Freunden und Bekannten, der starb einen Kieselstein in einen Topf warf? Als er selbst das Zeitige segnete, sagten seine Freunde, der Schneider ist selbst in den Topf gefal-len. Pause Warum, ich dir diese Geschichte erzähle? Pause Heute Sie flüstert in den Hörmuschel, ihre Worte sind nicht zu verstehen. Pause, laut Nein, so traurig ist es nicht. Ich bin bereit Pause Ich kann viel aushalten. Pause Pass auf, am Telephon kann ich nicht reden. Ich wollte, daß du im Bilde bist, wegen Mutter. Danke Feri, danke! Sie legt den Hörer auf, geht zur Tür, macht sie auf und ruft
Dr.Mity Herr Suri! Pause Herr Suri!
Suris Stimme Frau Dr. haben mich gerufen?
Dr.Mity Ja, Kommen Sie bitte ein Moment her!
Suri tritt auf.
Dr.Mity Gehen Sie in das Studio 14. Sagen Sie Herrn Manu, er möchte zu mir kommen.
Suri Haben Sie was Wichtiges mit ihm zu besprechen?
Dr.Mity, der die Frage nicht gefallen ha Ja, gehen Sie!
Suri Heute früh war er nicht in dem Studio, als ich ihm, wie gewöhnlich Tee ge-bracht, habe.
Dr.Mity, nachdenklich Dann gehen Sie zu Herrn Mika, und sagen Sie ihm, er möchte sobald er kann zu mir kommen.
Suri geht auf die Tür zu, bleibt aber an der Türswelle stehen.Mity, die vom Suris Weg-gang überzeugt ist öffnet die Schuhblade ihres Tisches. Suri schaut neugierig zu. Mity nimmt hastig einige Papiere heraus, sieht hoch und bemerkt
Dr.Mity böse Warum stehen Sie noch da?
Suri Herr Mika ist im Studio, bei der Aufnahme. Ich darf nicht rein.
Dr. Mity Lassen Sie ihm ausrichten, Tun Sie, was ich Ihnen sage, gehen Sie, endlich!
Suri geht ab., zieht Briefe und Notizen heraus, legt diese auf den Tisch, liest sie flüchtig, zerreißt einige von ihnen in Stücke und wirft diese in den Papierkorb, überlegt, macht sich einige Notizen auf ein Blatt Papier, sieht auf die Wanduhr. Lange Pause. Mika tritt in Begleitung von Suri auf.
Dr.Mity zu Mika Komm rein Mika!
Mika Was ist los, hast du Schwierigkeiten mit deinem Film?
Dr.Mity, die Suri nicht wahrnimmt zu Mika. Über die Geschichte später. Ist deine Aufnahe gut ge-gangen?
Mika Von heute Früh bis jetzt haben wir gearbeitet und doch haben wir die Aufnahme nicht fertig gekriegt. Ich muß mir noch ein neues Termin bitten.
Dr. Mity warum?
Mika Weil meine Schauspielerin Schila...
Dr.Mity unterbricht ihn. Eine sehr talentierte Schauspielerin...
Mika unterbricht sie. Talentiert schon, aber es ist sehr schwer mit ihr zu arbeiten. Bei den Proben spielte sie ihre Rolle nach dem Text und meiner Regie sehr gut. Nun bei der Aufnahme fing sie plötzlich an zu improvisieren. Pause Sage mal, du hattest mich doch nicht hierher gerufen, um mich über meine Arbeit zu fragen, oder?
Dr.Mity Warte mal, zu Suri Herr Suri, ab jetzt bin ich für niemanden zu sprechen. Wenn jemand mich sehen will, sagen Sie ihm, er möchte mich morgen aufsu-chen. Zu Mika Ich habe dich hier gebeten, weil ich über eine Wichtige Sache mit dir sprechen wollte. Pause. Warum setzt du nicht?,
Indem sie Mika einen Stuhl bietet sieht sie Suri, der auf die fliegenden Papiere auf dem Tisch mustert.
Dr.Mity, verärgert zu Suri Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Warum stehen Sie noch da? Gehen Sie!
Suri Ich mache mir Ihretwegen Sorgen. Geht es Ihnen nicht gut, Frau Doktor?
Dr.Mity Nein, es geht mir sehr gut.
Suri Soll ich Ihnen Tee oder, etwas zum Essen bringen?
Dr.Mity Nein, danke!
Suri zu Mika. Für Sie vielleicht, Herr Mika?
Mika Danke, nein!
Dr.Mity Wenn wir was wollen, werden wir Sie rufen. Gehen Sie jetzt!
Suri geht ab. Dr.Mity schließt die Tür ab.
Mika Warum tust du so geheimnisvoll? Warum willst du, daß niemand von unserem Gespräch erfährt? Was ist geschehen?
Dr.Mity Etwas Wichtiges ist geschehen. Vorhin habe ich schon meinen Schwager be-nachrichtigt und habe ihm gesagt, daß ich mit großer Wahrscheinlichkeit heute abend nicht nach Hause kommen werde. Er solle meiner Mutter sagen, daß bei der Produktion meines Stückes im Süden Schwierigkeiten vorgekommen sind, die außer mir niemand sie lösen kann. Darum werde ich noch heute direkt von meinem Büro hinfliegen, um morgen Früh bei der Filmaufnahme zu sein.
Mika Mußt du wirklich nach dem Süden fliegen?
Dr. Mity Nein.
Mika Nein?
Dr.Mity Wenn ich dir sage.
Mika Und warum diese Lüge?
Dr.Mity Damit er in meiner eventuell längeren Abwesenheit meine Familie beruhigen kann. Schließlich muß doch jemand aus meiner Familie wissen, wo ich gelandet bin.
Mika Und wo wirst du landen?
Dr.Mity mißtrauisch Willst du sagen, dass du es nicht weißt?
Mika Woher soll ich’s wissen, bin ein Hellseher?
Dr.Mity Verzeih!
Mika Mach es nicht so spannend, erzähl endlich, was ist los?
Dr.Mity Heute früh haben sie mich angerufen.
Mika Weiter?
Dr.Mity Hat man dich auch angerufen?
Mika Wer? Heut haben mich viele angerufen. Wie soll ich deine Frage verstehe?
Dr.Mity Es wundert mich aber!
Mika Sage endlich! Wer hat dich angerufen, ein Kollege von uns, jemand vom Thea-ter?
Dr.Mity Wäre er vom Theater hätte er mein Spiel durchschaut.
Mika sichtlich nervös Bald habe ich keine Lust mehr, sage wer es war und was er von dir wollte!
Dr.Mity Dann hör zu! spielt ein Gespräch vor”: Sind Sie Frau Doktor Mity?”- ”Ja!",”Guten Tag!”-” Guten Tag! Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?”-”Hier ist SUMAK”
Mika als wäre seine Kehle geschnürt Hast du ein Glas Wasser für mich?
Dr.Mity reicht ihm ein Glas Wasser Mika trinkt. Pause.
Dr.Mity Ist dir schlecht?
Mika Nein. Nur meine Kehle ist trocken.
Dr.Mity Möchtest du, daß ich weiter erzähle?
Mika Nur zu!
Dr.Mity Diese Nachricht hat dir die Stimme verschlagen, was?
Mika Es ist verdammt eine heikle Geschichte! Hat er Wirklich gesagt, er wäre vom SUMAK?
Dr.Mity Ja, vom SUMAK.
Mika Und du warst nicht bestürzt, hast du keine Angst gekriegt?
Dr.Mity Doch! Aber.hält inne.
Mika Aber?
Dr.Mity Ich sagte mir”: Vorsicht, zeige keine Schwäche, keine Schwäche zeigen.”Ich atmete tief ein, und sagte”: Ich führe gerade ein Gespräch in einer anderen Lei-tung, legen Sie nicht auf! Ich bin gleich bei Ihnen
Mika siehst um sich. Wo ist deine zweite Leitung?
Dr.Mity Ich habe nur diese eine.
Mika Ein raffinierter Hund bist du! Auf die Idee wäre ich nie gekommen.
Dr.Mity Geht es dir nicht gut, Mika?
Mika Wieso? Die Geschichte ist spannend! So was passiert doch nicht jeden Tag.
Dr.Mity Es passiert nicht jeden Tag, sagst du? Hat dich Sumak noch nicht angerufen?
Mika Nein. Beängstigt. Warum sollte SUMAK mich anrufen. Es gibt keinen Grund dafür.
Dr.Mity So! Nach einer kurzen Pause Also, ich nahm wieder den Hörer auf und sagte: ”Bitte sehr, ich bin ganz Ohr!”
Mika Und?
Dr.Mity Er sagte: ”Sie haben vor drei Tagen einen offenen Brief mit unterschrieben.”-”Habe ich das?”, sagte ich. ”Sie haben jenen Brief unterschrieben. Tun Sie nicht so,s als wüßten Sie nicht, was in dem Brief gestanden hat.”
Mika Hast du es wirklich nicht gewusst?
Dr.Mity Natürlich wußte ich es. Namhafte Künstler und Wissenschaftler, hatten in jenem Brief gegen die Festnahme des Regisseurs und des Schauspielers von Ib-sens”Volksfeind” protestiert.
Mika Du warst in der Premiere?
Dr.Mity Ja. Der Regisseur hatte die korrupte Presse in seiner Inszenierung von Ibsens ”Volksfeind” so dargestellt, als hätte Ibsen sein Stück bei uns und für uns ge-schrieben.
Mika Und als das Stück zu Ende war traten die SUMAK-Männer auf und führten den Regisseur und den Darsteller von ”Doktor Stockman” ab.
Dr.Mity Dann warst auch du in der Premiere.
Mika Nein. Ich war an jenem Abend verhindert. Ich habe davon gehört.
Dr.Mity höhnisch Wen willst verarschen Mika, mich? Ich habe dich im Saal gesehen, in der letzten Reihe hat du gesessen, in der Nähe vom Ausgang.
Mika stottert Ich kann nicht behaupten, daß ich den ”Volksfeind” gesehen habe, weil ich ganz zu Anfang da war. Ich habe dir doch gesagt, ich hatte etwas Dringendes zu erle-digen, ich mußte weg.
Dr.Mity So, du hattest etwas Dringendes zu erledigen?
Dr.Mity mustert ihn, schweigt.
Mika Was soll das? Ist das ein Kreuzverhör? Außerdem, außerdem glaube ich nicht, daß SUMAK unsere Kollegen nur wegen dieser Aufführung festgenommen hat.
Pause.
Dr.Mity Willst du nun wissen, was SUMAK von mir wollte oder nicht?
Mika Ja, aber mache es kurz, ich bin müde!
Dr.Mity SUMAK hat den Wunsch geäußert, mich zu interviewen!
Mika Oh, Gott!
Pause. Dr.Mity mustert auf die Uhr.
Mika Warum guckst du andauern auf die Uhr?
Dr.Mity Das Ticktack macht mich nervös!
Pause.
Mika Und was willst du nun machen?
Dr.Mity Ich gehe hin.
Mika Du gehst hin?
Dr.Mity Sicher! Heute abend, Punkt um 19 Uhr in der Wiedehopfstraße 13. Und ich wer-de, wie gewünscht zweimal Schellen.
Mika Sie werden dir ein Loch in den Bauch fragen.
Dr.Mity Das werden sie.
Mika Auch über deine Freunde und Kollegen werden sie dich ausfragen.
Dr.Mity Genauso ist es, Mika. Auch über dich werden sie mich ausfragen.
Mika Ich habe nichts zu verbergen, Meine Weste ist sauber!
Dr.Mity Sehr sauber!
Mika Willst du mich beleidigen?
Dr.Mity Du sagst, deine Weste ist sauber, gut. Und was war mit dem Brief?
Mika Mit welchem Brief?
Dr.Mity Komm! Hier ist keine Bühne!
Mika Ich sage es dir noch einmal: mich hat SUMAK nicht angerufen.
Dr.Mity Du bist und bleibst mir immer ein Rätsel, Mika!
Mika ungeduldig Ach, denke von mir, was du willst und laß mich in Ruhe. Er will gehen. Dr.Mity hält ihn zurück.
Dr.Mity Bleiben Sie Herr Mika, unser beliebter Theater und Filmregisseur! Den Tag darf man nicht vor Abend loben! Unter jenem Brief stand auch Ihre Unterschrift.
Mika Ich habe mit der Politik nichts am Hut! Das wißt ihr alle. Politik soll man den Politikern überlassen, sie können es besser. stottert. Und das mit der Unterschrift, das war, das war eine freundschaftliche, eine kollegiale Geste von mir. Ich bin sozusagen dazu gezwungen worden. Ich ging zufällig am ”Platz der Freiheit” vorbei. Ich hatte es sehr eilig, dann sah ich Karo. Er hat mir regelrecht den Weg versperrt. Ich wurde praktisch gezwungen zu unterschreiben. Ich hatte nicht einmal Zeit einen Blick in jenen Brief zu werfen. Ich weiß nicht, was drin stand.
Dr.Mity Soso! Und du willst SUMAK so ein Märchen erzählen?
Mika Sag endlich, was du von mir willst, und laß mich gehen!
Langes Schweigen. Plötzlich lacht Dr.Mity.
Mika verwirrt. Was ist los? Warum lachst du, so blöd?
Dr.Mity immer noch lachend Lüge! Ich habe gelogen!
Mika Was? Wie bitte? Hast du aber mich erschreckt!
Dr.Mity Der Anruf kam nicht vom SUMAK. Es war unser gemeinsamer Kollege, der Bühnenbildner Manu, der mich angerufen hatte.
Mika Ein geschmackloser, dummer Witz war das! Der paßt zu ihm, diesem verrückten Witzbold von einem Maler!
Pause.
Mika Hast du, außer dem Wasser noch was anders?
Dr.Mity Möchtest du Tee haben?
Mika Nicht schlecht!
Dr.Mity steht aufund öffnet die Tür. Suri steht auf der Türschwelle, er trägt ein Tablett, auf dem zwei Gläser Tee stehen.Dr.Mity steht fassungslos da.
Suri Wünschten Sie Tee, Frau Doktor?
Dr.Mity verdutzt.Haben Sie die ganze Zeit hinter der Tür gestanden?
Suri, stotternd Natürlich nicht, ich habe mir gedacht, Sie und Herr Mika seid sicherlich müde. Tee wird Ihnen gut tun.
Dr.Mity, mit verhaltener Wut Stellen Sie das Tablett auf den Tisch und gehen Sie!
Suri Brauchen Sie noch etwas, Frau Doktor?
Dr.Mity Nein, danke! Lassen Sie uns jetzt aber allein!
Suri Zu Befehl! geht ab.
Dr.Mity, schaut ihm nach Eigenartig!
Mika Nimm´s nicht so ernst, er ist eben fuchtbar neugierig, aber harmlos.
Dr.Mity Harmlos, sagst du? Jetzt, in dieser Zeit?
Mika Was kann er uns anhaben?
Dr.Mity Ich traue ihm nicht.
Dr.Mity und Mika trinken den Tee. Langes Schweigen. Dr.Mity sieht auf die Wanduhr.
Mika Willst du, daß ich dir den neuesten Witz erzählen?
Dr.Mity Erzähl!
Mika Ein Hund von unserem Land geht nach Frankreich. Die französischen Hunde bringen ihm Fleisch und Knochen. Nachdem er alles gefressen hat fragen sie ihn, ob bei uns kein Fleisch und Knochen gibt. Er antwortet”: In meinem Land mangelt an nichts, wir haben alles.”, ”Warum bist du dann hergekommen?” Fra-gen ihn die französischen Hunde. ” Ich habe mein Land verlassen, um nach Her-zenslust einmal bellen zu können.”
Mika lacht laut, Dr.Mity ist nicht zum Lachen zu Mute.
Dr.Mity Weißt du, warum SUMAK den Musikkritiker des Abendblattes geholt hat?
Mika Nein, sag!
Dr.Mity Weil er angeblich in dem Café ”Nachtigall” gesagt haben soll, der Text der Na-tionalhymne wäre unsinnig.
Mika Noch ein Witz.
Dr.Mity Ist er genauso lustig, wie der vom vorhin?
Mika Ja. In unserem Stadtpark sitzen drei alte Männer neben einander auf einer Bank. Lange Zeit halten sie stumm. Dann seufzt einer von ihnen. Der zweite”: Jawohl, ich bin ganz Ihrer Meinung!” Daraufhin steht der dritte Alte aufgeregt auf und sagt”: Wenn Ihr über die Politik reden wollt, wisset, ich werde keine Minute hier bleiben.”
Mika lacht. Dr.Mity schweigt
Dr.Mity Den Redakteur der Jugendrevue hat man auch verhaftet. Sie haben ihm vorge-halten, er habe jede Woche, in seiner Zeitschrift Gedichte über Rosen und Nach-tigallen gedruckt, weil er mit diesen Symbolen, zum einen seine Solidarität mit den Untergrundkämpfern bekunden wollte, zum anderen die Jugendlichen zum Aufstand gegen den Staat ermutigen wollte.
Pause.
Mika Auf alle Fälle, was Manu gemacht hat, war geschmacklos. Solche Witze darf man nicht machen, vor allem mit den Frauen. Hoffentlich hast du ihm gehörig deine Meinung gesagt?
Dr.Mity Warum darf man nicht solche Witze mit Frauen machen, und mit Männern darf man es?
Mika Männer sind in der Regel Kopfmenschen, Rationalisten, Frauen dagegen sind, von Natur aus Bauchmenschen, eben emotional veranlagt.
Dr.Mity Deine Argumentation ist großartig.
Mika Was ich gesagt habe ist allgemeingültig. Du aber bist eine Ausnahme. Du bist Rationaler als viele Männer.
Dr.Mity Soso! Willst du nun wissen, wie ich auf Manus Anruf reagiert habe?
Mika Hast .hm Leviten gelesen?
Dr.Mity Nichts dergleichen.
Mika verwundert Wieso nicht?
Dr.Mity Weil er es mit mir gut gemeint hatte. Er wollte, daß ich mich auf solchen Anruf vorbereite.
Mika Sehr liebenswürdig von ihm.
Dr.Mity Ich sagte ihm, ich wäre über seine Warnung nicht erstaunt gewesen, weil ich damit rechne, heute oder morgen angerufen zu werden.
Mika Man soll nicht den Teufel an die Wand malen!
Dr.Mity Manu ist, im Gegensatz zu manch anderen Künstlern ein engagierter Maler.
Mika Wenn du damit mich meinst, dann mußt du zugeben, daß ich meine Arbeit im-mer gewissenhaft und gut erledige, und dabei bis jetzt niemandem geschadet ha-be.
Dr.Mity Und du schweigst auch zu allem, lieber Mika! Ein braver Künstler! Und das ist auch dir typisch, daß du kein Interesse hast zu wissen, was dem Manu, unserem Kollegen zugestoßen ist.
Mika besorgt Nein! Was ist mit ihm?
Dr.Mity Warst du nicht gestern bei ihm, in seinem Studio?
Mika Ja, ich war bei ihm. Und?
Dr.Mity Und du weißt nicht, was ihm geschehen ist?
Mika Nein, ich weiß es nicht. Was ist ihm geschehen?
Dr.Mity Gestern abend wurde Manu bei sich zu Hause verhaftet. mustert Mika: Mein lieber Freund Mika, du warst im Theater und hast gehört, daß ich protestiert habe, als die Sicherheitsleute unsere Kollegen mit Gewalt mitgenommen haben. Du hast den offenen Brief unterschrieben, weil du wissen wolltest, wer alles seine Soli-darität mit den Künstlern bekundet hatte, und hast auch meine Unterschrift ge-sehen. Noch etwas: als Manu die Werkstatt verlassen wollte, warst du bei ihm, und wußtest genau, daß er anschließend direkt zu sich nach Hause fährt.
Mika wütend Jawohl, ich habe deine Unterschrift gesehen und ich war in Manus Werkstatt. Ich war dort, weil ich über mein Programm mit ihm sprechen wollte
Dr.Mity Bis wann warst du bei ihm?
Mika Ich weiß nicht genau.
Dr.Mity Denk nach!
Mika Als Suri uns unaufgefordert Tee bracht, sagte er:“Es ist jetzt sieben Uhr, wollen Sie immer noch arbeiten, Herr Manu?“ Daruf hin sagte Manu:“Gehen Sie nach Hause, ich habe noch mit Herrn Mika einiges zu besprechen.“ Dabei war unser Gespräch längst zu Ende.
Dr.Mity War es nicht halbsieben, als Suri euch Teebrachte?
Mika verwirrt Du machst mich wahnsinnig, vielleicht war es halb sieben. Was soll diese blöden Fragen?
Dr.Mity Dann seid ihr zusammen das Fernsehen verlassen.
Mika Nein. kurz nachdem Suri weg war bin ich auch gegangen.
Dr.Mity Aber du wußtest, daß Manu von seinem Büro direkt nach Hause fährt.
Mika Ja, das wußte ich.
Dr. Mity schweigt, mustert Mika.
Mika Keine weitere Fragen?
Dr.Mity Manu geht normalerweise nach der Arbeit immer in Café Firuz. Du wußtest also, daß er, gestern direkt nach Hause gehen wollte.
Mika wütend Ja!
Pause.
Dr.Mity Hat dich SUMAK über mich ausgefragt?
Mika Mir reicht, ich bleibe keine Sekunde mehr hier.
Dr.Mity Warte, bitte! Ich spreche nicht mehr davon. Bleibe und rede mir ein wenig Mut zu!
Mika mit bitterem Lächeln Nein, wie kommst du drauf! lacht krampfhaft Ich soll dir, Mut zu reden, wie kann ich das?
Dr.Mity zeigt auf die Wanduhr In weniger als einer Stunde ist es soweit.
Mika Was soweit?
Dr.Mity Spielst du wieder Theater, Mika!
Mika Was denn, was denn?
Dr.Mity Du weißt doch genau, mein Freund, daß ich mich um 19 Uhr im Haus 13, in der Wiedehopfstraße vorstellen muß.
Mika Ich? Woher denn?
Dr. Mity Gestehe endlich, dass du mit Manu, zusammen das Fernsehen verlassen habt.
Mika Ja.
Dr.Mity mustert Mika an. Pause.
Dr.Mity Du wusstest, dass Manu auf dem Heimweg verhaftet worden ist.
Mika, sich verteidigend, unterbricht sie, schreiend Nein!
Dr.Mity Nein?
Lange Pause.
Mika, zusammengebrochen Ja!
Langes Schweigen. Das Telephon klingelt. Dr.Mity nimmt den Hörer ab. Pause.
Dr.Mity Ich bin es selbst. Pause; sieht auf die Wanduhr, lächelt. Entschuldigen Sie bitte, Ihre Uhr geht fünf Minuten vor! Pause Wer? Mika steht mühsam auf, geht auf die Tür zu. Dr.Mity gibt ihm ein Zeichen, er solle bleiben. Herr Mika ist nicht bei mir. Vielleicht ist er im Studio 14. Pause Wie bitte? Pause Soll ich Sie mit dem Studio 14 verbin-den? Pause Nein? Pause Sie gibt Mika Zeichen, er solle sich hinsetzen. Herr Mika soll zu mir kommen? Ich kann Ihnen nicht versprechen, ihn finden zu können. Pause Ich werde mein bestes tun. Pause Wie bitte? Ich brauche nicht in die Wiedehopfstraße zu kommen? Pause Sie sieht Mika an. Sie kommen zu uns? Wann? Pause Bitte sehr, wann immer Sie wollen!
Pause Sie schaltet das CD-Player ein. Der erste Mouvement der Gustav Mahlers ersten Symphonie wird gespielt. Sie zieht aus der Schublade ihres Tisches eine Flasche Sherry und zwei Gläser heraus, schenkt ein und bietet Mika ein Glas. Sie stoßen an. Pause. Das Ticken der Wanduhr ist stärker denn je zu hören.
Ende
Bochum, Montag, 15. November 1999 Segur de Calafell, 27 Juli 2000