جمعه
Silvia Lippi:




Der Verführer zwischen Tragödie und Neurose



„… so wird man sich auch nicht etwas anderes
zum Ziel der Behandlung setzen
als die praktische Genesung des Kranken,
die Herstellung seiner Leistungs- und Genussfähigkeit.“
Sigmund Freud, 1904[1]


„Je besser [das Subjekt] analysiert ist,
desto mehr ist es möglich,
dass es offen seine Liebe oder seine Abneigung oder den Ekel
für die elementarsten Arten von körperlichen Beziehungen
gegenüber seinem Partner zeigen kann.“
Jacques Lacan, 1960[2]



„Die Anatomie ist das Schicksal“[3], sagte Freud und nahm damit das bekannte Aperçu Napoleons wieder auf. Man mag das schockierend und zugleich bedauerlich finden, dennoch aber entbehrt es nicht einer gewissen Wahrheit. Die Anatomie „begünstigt“ die je an den besonderen Konstanten der Geschlechtszugehörigkeit ausgerichteten Handlungen. Das heißt allerdings nicht, dass gewisse für Männer oder den Frauen als typisch angesehenen Verhaltensweisen in den Genen eingeschrieben, sie also durch den anatomischen Unterschied determiniert seien. Freud blieb keineswegs beim körperlichen Unterschied stehen: seiner Ansicht nach beruht die Dissymmetrie der Geschlechter nicht auf einer Basis des Organischen, sondern auf der des Symbolischen.[4] Das unterschiedliche Verhalten beider Geschlechter ist nur die Folge imaginärer Auswirkungen einer Geschlechterdifferenz, die auf symbolischer Ebene gründet, d.h. auf einer Differenz, die ‒ so Lévi-Strauss ‒ von Generation zu Generation über die Sprache, das Sprechen und die Verwandtschaftsstrukturen weiter gereicht wird. Die Anatomie ist daher den symbolischen Gesetzen unterworfen: das Symbolische konstruiert den Körper, gibt ihm über die imaginären Bedeutungen hinaus einen Sinn ‒ männlich, weiblich. Das gilt z.B. auch für den sogenannten „natürlichen“ Schürzenjäger. Die Dinge sind also tatsächlich viel komplizierter.

Von seinem Begehren aus gesehen befindet sich der Mann wahrscheinlich in einer Sackgasse. Betrachten wir hier den Fall des Verführers einmal näher: seine Handlungsweisen enthüllen, wie schwierig es für ihn ist, sich nach seinem Begehren zu richten, besonders nach dem Begehren [nach] einer Frau. Hierzu sollten wir anmerken, dass die Untreue keineswegs ein feststehendes und unveränderbares Verhalten des Mannes ist. Das schreibt schon Lacan: „Wir sollten nicht glauben […], dass die sich [oft] zeigende Untreue des Mannes eine konstitutive Funktion des Männlichen, ihm von daher eigentümlich sei.“[5] Auch eine Frau kann sich in einer solchen Lage befinden, und zudem ist nicht jeder Mann ein Verführer.

Das Verhalten des Verführers zeigt sich in unterschiedlichsten klinischen Strukturen. Manche Männer verführen eine Frau und verlassen sie, wenn sie das, was sie von ihr wollten oder glauben gewollt zu haben, bekommen haben. Was aber wollten sie denn nun tatsächlich von dieser Frau? Oberflächlich gesehen vielleicht nur die Telefonnummer, ein Rendezvous, einmal oder mehrmals mit ihr zu schlafen oder auch Kinder… Das Ziel erreicht zu haben, ist oft gleichbedeutend mit der Flucht des Verführers (mit oder ohne weitere Erklärungen), und diese Flucht kann ein endgültiger Abschied sein oder aber auch in einem für die Frau ermüdenden Hin und Her bestehen, solange sie sich das eben gefallen lässt. Es kann aber von seiner Seite her auch zum Verrat und zu endlosen Betrügereien kommen.

Ein unwiderstehlicher Drang stößt den Verführer zur Frau hin, wobei er sich unter einen Eroberungszwang gesetzt fühlt. Dabei ist er keineswegs immer wählerisch (siehe Don Juan/Don Giovanni): es geht ihm allein um Quantität, und sollte die Beute tatsächlich nicht nach seinem Geschmack sein, so macht ihm das letztlich gar nichts aus: Quantität wiegt mehr als Qualität. Das Bedürfnis zu verführen und zu betrügen, zeigt sich bei manchen Männern wie ein kategorisches «Es muss sein», dem sie sich wie unter einen höchsten Drang zu unterwerfen haben.

Geht es aber hier um das wirkliche Begehren des Mannes?


Der zwanghafte Verführer: zwischen Ritual und Glücksbringerschaft

Wenn das sexuelle Begehren dem Trieb unterliegt, dann kann es mit einer Hemmung des Genießens einhergehen, weil sich das Subjekt mit dem (mütterlichen) Phallus identifiziert. Es riskiert dann, das Genießen zu „verpassen“ (Impotenz, Frigidität), gerade so als ob Körper und Genießen des Partners das Genießen des Subjekts konterkarieren würden.

Hierbei ist die Passivität, die die Passion der Liebe [die Freud’sche *Verliebtheit ‒ A.d.Ü.] mit sich bringt, wohl ausschließlich am Genuss ausgerichtet[6]; sie ist keineswegs vernichtend, wie etwa die Selbstsucht (passion de soi), die sich oft hinter der sexuellen Leidenschaft im engeren Sinne verbirgt, oder wie die Leidenschaft zu Erobern (Don-Juanismus). Der Verführer verzichtet auf die Passion des anderen zugunsten seiner eigenen Selbstsucht. Das durch wiederholte Eroberung und Untreue ausgelöste Genießen verspielt die Begegnung des Subjekts mit der Ursache seines Begehrens. Der Don-Juanismus ist von daher ein Symptom auf der Kehrseite des Hysterischen und des Zwanghaften; es ist keineswegs eine Strukturbedingung der Männlichkeit.

Weshalb aber ist der Verführer immer bestrebt, seine phallischen Vorzüge unter der Gemeinschaft der Frauen zu verstreuen? Es geht in Wirklichkeit um anderes als um eine solche Verteilung: es geht um «Raub»! Er selbst ist es, der, indem er seinen Penis gibt, von allen Seiten den «Phallus» zu erhaschen versucht. Die eroberte Frau, besetzt mit dem Bild vom allmächtigen Phallus, stellt für den Verführer nichts weiter dar als eine immer wieder zu erobernde Trophäe.

Der Verführer verwechselt das Begehren nach dem Phallus (φ) mit der Ursache des Begehrens (a). In der Suche nach dem Phallus hat der Verführer vom Typ Casanova das Bedürfnis, sich selbst im Spiegel des Körpers seiner Partnerin zu bewundern: ohne dieses beständige imaginäre und trügerische Bild fühlt er sich jeglichen Begehrens beraubt. Dieses Begehren hat aber dieselbe Konsistenz wie das Reflexionsbild des Phallus im Spiegel, mit anderen Worten: diese Konsistenz gibt es gar nicht!

Wird ein Zwangsneurotiker zum Verführer, dann sucht er nicht in derselben Weise nach dem Phallus wie der Hysteriker: eher will er sich dieses Phallus entledigen, indem er ihn bedingungslos an alle Frauen abgibt. Für ihn ist die Eroberung aller Frauen absolut lebensnotwendig, und das vor allem wegen seines Begehrens: das zwanghafte Begehren erscheint Letztenendes so, als ob das Subjekt ihm keinerlei Vertrauen schenkt; allein das Sammeln von Frauen könnte demnach den Zwangscharakter mit seinem Begehren für eine zeitlich begrenzte Spanne wiederbeleben. Bei dieser Frauensammlung kommt es freilich nicht auf den Wert eines Einzelstückes an: was zählt ist Quantität und Variabilität. Für den Sammler erhält jedes Einzelstück seinen Wert immer nur in Bezug auf die Gesamtheit, auch wenn sich darunter ein gegenüber allen andern bevorzugtes Stück befindet. Immer macht das Stück, das er gerade nicht besitzt, den eigentlichen Wert aus. Genauso zählt für den Frauensammler eine Frau in ihrer Einzelheit und Gesamtheit (unité) nichts ‒ eben weil sie den Wert des „fehlenden Glieds“ annimmt.

In seinem Seminar «Les formation de l’inconscient»/«Die Bildungen des Unbewussten» erinnert Jacques Lacan daran, dass der Zwangscharakter nicht weiß, wie er das Begehren an seinem Platz aufrechterhalten kann[7]: er braucht das Ansammeln von Frauen als «scheinbare Stütze» seines Begehrens. Die Frauen retten den Zwangscharakter, oder besser: sie retten ‒ offensichtlich ‒ sein Begehren! So etwa bei Casanova: für ihn ist die Frau Trägerin von Energie und Lebenskraft; die Frau ist die Stütze der Existenz, der ‒ zweifelhafte und zerbrechliche ‒ Anker des Begehrens. Jede Frau in der Sammlung des Verführers hat die Funktion eines vorübergehenden Objekts des Begehrens; dabei entgleitet ihm aber die Ursache (des Begehrens).

Das Begehren nach Verführung ist nur ein Schein-Begehren.[8] Wenn es für den hysterischen Verführern ein Begehren (in Form eines nicht zu befriedigenden Begehrens) nach dem Phallus maskiert, dann erweist es sich für den Zwangscharakter als eine Äußerung des Über-Ichs, allerdings in verdrehter Weise. Der väterliche Befehl ‒ «Du musst jede Frau verführen!» ‒ verwandelt sich in die «Erlaubnis, Frauen aufzureißen»: gerade so als ob das Subjekt erst noch auf eine Erlaubnis wartete ‒ eine Erlaubnis, die ihm offenkundig erteilt wird. Aber in Wirklichkeit geht es hier nicht um eine Erlaubnis, sondern um einen Befehl!

Dieser Befehl nimmt die Gestalt einer Erlaubnis an, er kommt vom väterlichen Über-Ich, welches das Begehren des Subjekts „korrumpiert“ und dadurch die Gelegenheit bietet, ihm ausweichen zu können. Es bestünde ja immerhin die Gefahr, dass das Begehren ein allzu großes Genießen auslösen könnte: dadurch dass dieses Genießen auf ein große Anzahl von Frauen verteilt wird, kann es abgelenkt und zugleich abgeschwächt werden.

Es geht um ein zurückgehaltenes, unterdrücktes Begehren, ein unterdrücktes Genießens mithilfe der Kollektion von Frauen; dafür erhält man ein kleines, trostspendendes Genießen, das immer ein wenig frustrierend ist (auch wenn es den Anschein erweckt, es sei das nicht). Die Unterdrückung, die Zurückhaltung der Genießens angesichts einer ungeheuren Vielzahl von Eroberungen zeigt deutlich den analen Charakter des zwanghaften Charakters: er sucht nach Amouren, die ihn nichts kosten. Eine [wirklich] geliebte und begehrte Frau ‒ eine Frau als Ursache des Begehrens (oder wie Lacan sagen würde: eine Frau als Objekt a) ‒ wäre im Hinblick auf das Begehren und das Genießen allzu kostspielig!

Von der Zurückhaltung des Begehrens gelangt man schnell zum Begehren der Zurückhaltung: die Ursache des Begehrens wechselt ihren Ort und geht über von der Frau zum Akt der Zurückhaltung, zum Begehren nach Zurückhaltung, das sich hinter dem systematischen Eroberungszwang nach Frauen verbirgt.

Sowohl Freud als auch Lacan haben auf den religiösen Charakter des Zwangscharakters hingewiesen. Für den zwanghaften Verführer ist die Eroberung von Frauen ein religiöser Akt: die Eroberung wird zum Ritual, zur Magie, zum Glücksbringer. Jedes Begehren und jedes Verliebtsein verlangen nach einer gewissen Dosis von Glauben an das phallische (oder auch an das fetischistische) Objekt; für den zwanghaften Verführer besteht das Ritual der Eroberung aber in einem wahren Akt des Glaubens: es geht um den Befehl der Unterwerfung, der Hingabe (dévotion). Und genau wie Gott den Treuen im Glauben stützt, so stützt das Objekt – eine Frau nach der anderen… ‒ den Verführer: die Frau ist die Chance, die er nicht auslassen darf.

Die Eroberung wird dadurch zum Ritual: wie jedes Zeremoniell verlangt sie nach einer gewissen Form von Stabilität, von aufbauendem Halt; demgegenüber lösen die Fluktuationen des Begehrens bei ihm nur Angst aus.

Das Ritual verschiebt die Frage des Begehrens, das Begehren verwandelt sich in Zweifel: Begehre ich dieser Frau nun wirklich oder eher nicht? Dem Zeremoniell kommt dieselbe Schutzfunktion zu wie dem Zweifel: Soll das Begehren beiseitegelassen werden, soll es unmöglich gemacht werden? Das Begehren nach allen Frauen ‒ «ich muss sie alle begehren!» ‒, ist das nun eine Akkumulation oder ein Fluch? Dieses Begehren ist eine Art Hemmung des Begehrens auf gerade diese Frau (Ursache des Begehrens, Objekt a). Das Ritual, alle Frauen zu erobern ‒ eine nach der anderen ‒, führt [letztlich] zum Zwang, alles Begehren zu opfern. Das Subjekt ist von der Ursache (seines Begehrens) abgeschnitten, es weist die Wahrheit von sich. Die Akkumulierung lässt die Spielkarten durcheinanderbringen und macht das Opfer genauso unkenntlich wie der Verzicht auf das Begehren.

Hier haben wir es mit demselben Prozess zu tun wie beim Glauben: man folgt dem Zeremoniell (Gebet, Messe etc.), um zu vermeiden, dass man sich mit der wahren Frage konfrontiert: Glaube ich an Gott oder glaube ich nicht an ihn? Das Werk der Verschiebung aufs Zeremoniell verwandelt das Läppischste ins Wesentlichste, ins Gebieterischste. Freud erklärt in «Zwangshandlungen und Religionsausübungen» (1907), dass aus dem „läppischen“ Zeremoniell der Religionsausübungen der gedankliche Inhalt ‒ die Ursache ‒ verbannt ist; genauso geschieht das beim Zwangscharakter, bei dem die Ursache des Begehrens hinter der Anhäufung von Frauen verschwindet. Lacan bemerkt dazu: „… der Religiöse überlässt Gott die Last der Ursache“[9]; der sich ganz seiner Sache widmende Verführer bringt die Ursache (des Begehrens) Gott zum Opfer; die Eroberung verwandelt sich in eine Opfergabe: natürlich an Gott, oder anders gesagt: an den Vater! Es geht also darum, dem Vater etwas zu überbringen, ihm etwas wiederzubringen. Und das ist wahrlich eine seltsame Art, seine symbolische Schuld zu begleichen!

Die Verführung hat zudem noch eine moralische Seite: sie steckt in den manchmal recht vorhersehbaren Handlungen des «hingebungsvollen» Verführers. Dieser ist überzeugt davon, richtig zu handeln, Gutes zu tun, wenn er jede Frau seinem Ritual gemäß verführt; er glaubt nämlich, er würde das Paradies erobern und es mit anderen teilen. Genauso der Gläubige, der sich des Rechts aufs ewige Leben sicher weiß, und zwar dank seiner rituellen Gebete anlässlich des religiösen Zeremoniells.


Der hysterische Verführer und der performative Akt

Auch für den hysterischen Verführer gerät das Begehren in eine Panne und die Verführung ist der perfekte Kompromiss zwischen dem Akt und seiner Verneinung. Der Hysteriker begehrt und weist bzw. hält zurück, statt zu begehren und zu genießen: die Verführung (und die daraus notwendigerweise erfolgende Flucht) ist der deutlichste Ausdruck dieser beiden unvereinbaren Momente. Das Begehren des Hysterikers hält sich demgegenüber nur aufgrund einer Ausflucht aufrecht; doch dieses unbefriedigte Begehren ist nicht das Begehren des Unbewussten, das Begehren als Ursache, und es hat auch nichts zu tun mit dem Entbehren, der „Privation“, des Objekts: in der Hysterie ist nicht die Kraft des Triebs, die ihr Ziel verfehlt und sich in einer Schleife verfängt, am Werk.

Das Problem des Hysterikers: Wie kann man begehren und zugleich seinem eigenen Begehren entwischen? Um mit einer Frau sein Spiel ‒ Begehren und zugleich Sich-Entziehen ‒ zu spielen, muss der hysterische Verführer Versprechungen leisten: Ich werde anrufen, ich lade dich zum Ausgehen ein, ich lade dich zum Essen ein, wir gehen zusammen aus, wir machen dieses oder jenes zusammen, ich liebe dich, ich will dich etc. Das Versprechen nimmt hierbei die Gestalt des Akts der Verführung selbst an, denn es stellt genau jenen Moment dar, der das Begehren des Verführers nach einer Frau zum Ausdruck bringt: es „wird zur Tat“! Für den hysterischen Verführer steckt schon die ganze Tat in der Aussage, Sprechen ist selbst ein Akt: in seinen Augen ist sein Versprechen ein performativer Satz. In «How to do things with words»[10] erklärt der analytische Philosoph J.L. Austin, dass es Aussagen in der ersten Person Singular Indikativ Präsens aktiv gibt, die weder wahr noch falsch sind, die schon allein in Form einer Äußerung dem Vollzug einer Handlung entsprechen. So ist zum Beispiel das «Ja» jedes Partners anlässlich einer Hochzeitszeremonie ein performativer Akt, denn es geht hier um eine Aussage, die eine Handlung schafft; im erwähnten Fall dient sie dazu, die Hochzeit zu vollziehen. In solchen Fällen will ein performativer Satz nichts beschreiben oder versprechen, sondern er tut es.[11] Im Falle des Verführers ist der Satz «Ich will dich», geäußert vor dem Beginn einer Liebeshandlung, ein performativer Akt ‒ allerdings nur für den Verführer! Er glaubt so sehr an sein Begehren, dass er darin schon den Akt selbst sieht. Der [Sprech-]Akt ist immer der Ausdruck eines Begehrens[12], und in den Worten des Verführers steckt [etwas an] Begehren. (Ich beziehe mich hier ausschließlich auf die Fälle, die in einem Zusammenhang stehen, welcher der Erzeugung des Begehrens günstig ist; ich analysiere demnach nicht die Fälle des „reinen“ Betrugs oder die Fälle mit all den anderen Implikationen, sondern es geht mir nur um das Begehren, eine Frau zu verführen.)

Das Begehren des hysterischen Verführers drückt sich in einem Sprechen aus, das keiner richtigen Handlung entspricht: das Performativ des Verführers scheitert. Seine Handlung ist in den Augen des anderen keine Handlung, der Verführer ist ein „Scharlatan“.[13] Seine vorgebliche Tat windet sich in einer Schleife und verflüchtigt sich in der Aussage «Ich will dich», und dieser Satz beinhaltet sowohl das Begehren wie auch dessen Verneinung: das falsche Performativ kann zum hysterischen Symptom werden.

Das Versprechen des Verführers ruft sein Begehren auf, schließt ihn aber selbst als Subjekt aus. Das Performativ ist seines Subjekts beraubt, weil sich im Sprechakt des Verführers Begehren und Subjekt gegenseitig vertreiben: es gibt hier kein Performativ, weil es kein Subjekt gibt. Der hysterische Verführer weiß nicht, ob er gerade den andern täuscht oder ob er sich selbst täuscht (denn er ist dabei, sein Begehren zu täuschen): das Begehren ist schon verloren, an den Rand geschoben und annulliert, sobald es sich über das Wort offenbart. Dieses Wort verliert jeglichen symbolischen Wert und sagt überhaupt nichts aus: wenn ‚sagen‘ gleich ‚tun‘ heißt, dann zugleich auch ‚nicht-tun‘ ‒ d.h. im Sinne des Hysterikers: ‚es ist schon vollbracht‘, und mehr wird nicht getan, weil ja schon alles ‚Tun‘ im ‚Sagen‘ steckt.

Die Macht des falschen performativen Worts des Verführers steckt also gerade im Indikativ Präsens der ersten Person Singular; es handelt sich hierbei um die unendliche Entfaltung des reinen Präsens, bei der das Futur als Garantie für dessen Scheitern fungiert. Hinter der Absicht eines Verführerworts steht seine Selbstauslöschung: die Ohnmacht eines Begehrens, das sich verneint und das das Sprechen zu einer schmerzvollen, unbefriedigenden, unendlichen Wiederholung verdammt ‒ wobei nicht zu vergessen ist, dass jede Repetition gegenüber der vorigen immer an Kraft einbüßt.

Der hysterische Verführer entzieht sich der Wahrheit seines Begehrens, er verteidigt sein „falsches Performativ“ gegen den „Konstativ“ ‒ um es in den Worten der analytischen Philosophie auszudrücken: die Versprechungen verschwimmen und die Begegnung mit seinem Begehren (mit der Frau als der Ursache des Begehrens[14]) ist den Launen des Schicksals ausgeliefert. Um es nochmals zu wiederholen: Begehren und Subjekt gehen getrennte Wege.


Der Mythos des Verführers

Lacan merkt mehrmals an, dass Don Juan ‒ der Verführer par excellence ‒ ein weibliches Phantasma ist[15]; diese Vermutung mag auf den ersten Blick überraschen: Warum sollte ausgerechnet eine Frau von so einem Typ träumen?![16]

Trotzdem steckt in dieser Behauptung etwas Wahres: Wie ließe sich andererseits der Erfolg so vieler Verführer bei den Frauen erklären? Und zudem sollte man nicht vergessen, dass der Typus Don Juan durchaus auch bei Männern ankommt! Der Mythos vom Mann, der alle Frauen besitzt, ist also auch eine männliche Fantasie: der Verführer wäre demnach „ein Mann, dem nichts fehlt“, der „ihn nicht verlieren kann[17], und wie Lacan sagt: „Ein Vaterbild, das nicht kastriert ist, […], eine bloße Imago“. Männer und Frauen sind fasziniert vom Verführer ‒ die Männergemeinschaft nimmt ihn sich manchmal auch zum Vorbild ‒, er ist der *Ersatz des allmächtigen Vaters: der Vater-der-Allmächtige wird demnach also durch den Verführer «wiederbelebt». Doch, wie Freud in «Totem und Tabu» sagt: solange der Vater am Leben ist, bleibt für die Befriedigung des Sohnes wenig Raum. Der Sohn glaubt daran, er glaubt, dass der Vater genießt (er denkt, dass die Tatsache, alle zu haben, der Schlüssel allen Genießens sei). Und dabei vergisst er, dass jeder Vater ‒ und hiervon ist auch der allmächtige Vater nicht ausgeschlossen ‒ strukturell dem Tode geweiht ist. Es muss demnach etwas geben, das den Gedanken verbannt, der Vater sei sterblich.

Der Verführer hält sich für den (sexuell) allmächtigen Vater. Er sammelt Frauen so, als ob er ‒ eine nach der anderen – mit einer Marke, einer Kerbe notiert: jede Frau repräsentiert einen charakteristischen Zug (trait), einen Zug, der dem Vater, der „sie alle hat“, ähnelt.[18] Gleichzeitig aber wird mit jeder Kerbe ‒ also mit jeder Frau ‒ die Entfernung vom Ausgangspunkt, d.h. vom Vater, immer größer. Hier gewinnt das Nicht-Befriedigtsein Platz, das sich an jedem Moment in der Reihe der Eroberungen – ein ‚Zug‘ nach dem anderen ‒ einstellt. Das Phantasma des Vaters-des-Allmächtigen (die Fantasie der Allmacht, alle Frauen zu haben, heißt: den Phallus zu haben) führt zur Enttäuschung.

Einem solchen Verführer gelingt es nie, den Vater zu töten. Zu seinem Unglück ist das Faktum, „die“ Frau oder „die“ Frauen des Vaters zu haben, nicht gleich, ihn zu töten; hier macht sich die Kastration bemerkbar, und die Enttäuschung, die der Eroberung oft auf dem Fuße folgt, zeigt das recht deutlich. Die Begeisterung, die Arroganz und der Stolz über jede systematisch eroberte Frau ‒ all das ist nichts weiter als die fabrizierte Illusion (φ), die das Fehlen, den Mangel (‒φ) dissimuliert und das Begehren (a) zwingt, sich von neuem wieder zu verändern.

Auf der hysterischen Seite verliert sich der Verführer schließlich ganz in seinem Begehren, weil er nicht weiß, ob er den Vater und dessen Begehren oder ob er sein eigenes Begehren aufrechterhalten soll. Indem er tut, was der ideale Vater mit den Frauen tut, imitiert er ihn nur ‒ aber Imitation ist keine symbolische Identifizierung[19]: der hysterische Verführer begehrt, wovon er glaubt, sein idealer Vater begehre es auch. Die Tat des Hysterikers geht dem Phantasma des (sexuellen) Vaters-des-Allmächtigen voraus, ist dessen Konstruktion. Auf Seiten des Zwanghaften schneidet sich der Verführer von seinem eigenen Begehren ab: das Subjekt tötet nicht den Vater, sondern sein eigenes Begehren ‒ anders gesagt: mit jeder Eroberung verblasst sein Begehren ein Stück mehr.

Bei der seriellen Eroberung bleibt das stärkste Genießen mit dem [Genießen] der Schuldhaftigkeit gegenüber dem Vater verbunden. Der Verführer scheint den Platz des Vaters einnehmen und tun zu wollen, was dieser tut; doch was er [tatsächlich] begehrt, ist: von ihm bestraft zu werden. Hier nimmt die Andere Frau (Autre femme) ‒ und dieses Mal die offizielle, standesamtlich angetraute Frau ‒ oft die Position des Vaters ein: sie schlägt [zu], wenn sie sich ärgert, oder sie verlässt oder misshandelt ihn ihrerseits etc.


Der Verführer, die Frau, der Vater

Warum aber soll Don Juan ein weibliches Phantasma sein? Und wie kommt es, dass der Verführer das weibliche Begehren entzünden kann? Es ist ja nicht unbedingt die (sexuelle) Allmacht des Verführers, welche zur Erregung der Frau führt ‒ sie weiß [ja], dass der Phallus leicht die Luft verliert und… abschwillt. Es geht ihr eher um eine Herausforderung. Und wir werden noch sehen, wie das funktioniert.

Der Vater ist der erste Mann, der ‒ strukturell (d.h. unabhängig von allem, was er tut) ‒ seine Tochter «verführt und verlässt». Mit dem Verführer kann die Frau diese traumatische Erfahrung wiederholen, allerdings mit einer Besonderheit: sie kann jetzt die passivische Haltung «Ich bin vom Vater verlassen worden» in eine aktivische umkehren: «Ich verlasse den Vater»; mit anderen Worten: «Ich töte ihn».

Wie aber kann sie glauben, sie könne den Vater verlassen (töten)?

Über den Weg der Erniedrigung (dégradation) ihres Körpers und des Auslöschens seines Namens! ‒ Hier zeigen sich zwei einander entsprechende Dispositive: der Körper der Frau kann nur entwertet werden, wenn der Name des Mannes nicht ‒ auch nicht symbolisch ‒ mit im Spiel ist. Seit den Zeiten der alten Römer steht die Erniedrigung des Körpers auch für die Beschmutzung des Namens, weil diese die Vertrauenswürdigkeit der familiären Abstammungslinie nicht mehr garantiert: mater certissima, pater semper incertus/die Mutter ist allemal sicher, der Vater ist immer unsicher, sagte man[20]. Die treue Gattin Lukrezia nimmt sich das Leben, weil sie von Sextus vergewaltigt worden war; durch die Vergewaltigung ist ihre Fruchtbarkeit beschmutzt.

Im Gegensatz dazu sucht die Frau, die mit einem Mann geht, der sie misshandelt, nach der Erniedrigung in Gestalt des Verführers. Doch sie sucht sie nicht allein für sich (vom Verführer verlassen zu werden, heißt: vom Vater verlassen werden) ‒ sie will auch den Vater demütigen (demütigen oder erniedrigen heißt: ihn verlassen).[21] Der Verführer mortifiziert auf diese Weise die Frau und den Vater: der Name der Frau, der zugleich auch der Name des Vaters ist, wird beschmutzt, entehrt, beschädigt. Den Namen des Vaters beschmutzen, heißt: ihn abzuweisen und ihn zugleich zu übernehmen: die Frau verliert ihren [und seinen] Namen und rächt sich damit für das Verlassenwerden durch den Vater. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass mit der Misshandlung durch den Verführer auch eine ‒ durchaus genießerisch empfundene ‒ Bestrafung der Frau einher geht.

Nach der Erniedrigung durch den Verführer wird die Frau verlassen (was wiederum das Verlassenwordensein durch den Vater wiederholt) und sie verlässt ihn – verliert aber ‒ symbolisch ‒ durch ihr Verhalten ihren Namen. Der Verlust des Namens (des Vaters) erweist sich so als eine Art subjektive [Her]Absetzung der Frau: der Name kann [infolgedessen] dem «Körper» der Frau keinen Halt mehr geben. Darüber hinaus aber kann sie auch nicht einfach den Namen ihres Verführers annehmen, denn der Verführer besitzt nur einen geliehenen Namen. Er war ja unfähig, den Vater zu töten und ihm den Namen zu entreißen. Wir können das recht gut an der Geschichte von Don Juan sehen.[22]

Der Verführer sammelt Frauen, sammelt aber auch deren Namen: von jeder Eroberung erhofft er sich, dass ein neuer Name in seinen Besitz übergeht, der seinem eigenen Namen Konsistenz verleihen soll. Der Name des Verführers ist nicht das Symbol des Resultats eines (mehr oder weniger heftig ausgefochtenen) Kampfes mit dem Vater; er stellt nur dessen phallischen, unhaltbaren Glanz aus. Und jeder eroberte Name entgleitet, entwischt ihm, verliert sich wie die enttäuschte Liebe der Frau: eine Liebe, welche diese in Wirklichkeit ihrem Vater widmet ‒ der Verführer ist nur ein Werkzeug. Indem sie den Vater demütigt, bewahrt sie sich ihn auch: die Schuldhaftigkeit lässt ihn von neuem erstehen und sie fällt nach der Enttäuschung durch den Verführer wieder in seine (imaginären) Arme zurück ‒ ein neues Verlassenwerden![23]

Einerseits verlangt sie nach der Liebe des Verführers, sie will eine Liebe erobern, die es nicht gibt: als ob sie über die Liebe des Verführers ‒ eine eingebildete, unhaltbare, unlebbare Liebe ‒ einem anderen ‒ dem Vater ‒ eine unmögliche Liebe entreißen könnte.

In der Beziehung zu ihrem Verführer zeigt die Frau, dass sie auf den Vater nicht verzichten will/kann: das Verlassen (die aktive und passive Form), das sie immerzu sucht, enthüllt ‒ und ich betone es nochmals ‒, dass der Verführer nur eine Marionette an der Stelle des Vaters ist. Aber Letztenendes kann die Frau dadurch einen Raum finden für die Liebe, die der Vater enttäuscht hat. Über einen unmöglichen Mann kann sie unaufhörlich der unbefriedigenden, unvergesslichen Liebe des Vaters[24] [endlich] ihren Ort zuweisen.



Ergebnisse

Der Vaterkomplex – Liebe, Verführung, Verlassen, Trauer, Vatermord, Wiederauferstehung des Vaters ‒ ist für die Frau der Knoten des Begehrens. Anders gesagt: die Verführung des Vaters richtet das Begehren des Subjekts aus. Verführen ist unmittelbar verbunden mit Verlassen; auf der Ebene des Unbewussten überlagern sich beide und verschwimmen ineinander: wir befinden uns hier am Ursprung des Begehrens, oder anders gesagt: an seiner Ursache. Das Begehren ist die Wirkung, die Reaktion auf das Trauma der Verführung und, in dessen Folge, das Verlassen des Vaters. Begehren kann aber auch heißen: zu akzeptieren, dass man vom Vater verlassen worden ist und dass man beschließt, ihn zu verlassen; aber weder der Verführer noch die verführte Frau haben je dieses Stadium hinter sich gelassen.

Der zwanghafte Verführer muss das Begehren ‒ im Sinne des Begehrens und seiner Ursache ‒ bei sich behalten, unterdrücken oder auch «töten»; der hysterische Verführer muss es [demgegenüber] fliehen. Für die leicht zu verführende Frau geht es immer um die Verführung des Vaters, der verführt.

Die Sackgasse hinsichtlich des Begehrens des Vaters macht auch die Männer anfällig. Wenn sexuelles Begehren und Liebe für eine Frau aufeinandertreffen, so wird es sehr schwer, diese beisammen zu halten. Das Begehren kann sich zerstören (das ist die zwanghafte Variante) oder sich verlieren (das ist die hysterische Variante). Der Beweis dafür ist der Verführer: in den Augen des Verführers bricht [immer auch] die Haltlosigkeit eines Eintagsbegehrens durch.



Bibliographie

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Freud, Sigmund: Die Freudsche psychoanalytische Methode (1904), in: ders.: Studienausgabe (StudA.) Ergänzungsband, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
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ders.: «Ein Kind wird geschlagen» (1919; in. ders.: StudA. Band VII, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924), in: ders.: StudA. Band V, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: Totem und Tabu (1912-13), in: ders.: StudA. Band IX, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
Kafka, Franz: Das Urteil, in: ders.: Das erzählerische Werk, Band I, Berlin (DDR) (Rütten&Löning) 1983
Kierkegaard, Søren: Tagebuch des Verführers, Stuttgart (Reclam) 1994; dän. Forførerens Dagborg, 1843
Lacan, Jacques: Les psychoses, Le Séminaire. Livre III (1955-1956), Paris (Seuil) 1981
ders.: La signification du phallus, in: ders.: Écrits, Paris (Seuil) 1966
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ders.: L’identification, Le Séminaire, Livre III (1960-1961), unveröffentlichtes Manuskript in der Version der Association Freudienne Internationale, 2000
ders.: L’angoisse, Le Séminaire. Livre X (1962-1963), Manuskript der Association Freudienne internationale, 2001
ders.: L’angoisse, Le Séminaire, Livre X (1962-1963), Paris (Seuil) 2004
ders.: La science et la vérité, in: ders.: Écrits, Paris (Seuil) 1966
ders.: L’acte psychanalytique, Le Séminaire, Livre XV (1967-1968), unveröffentlichtes Manuskript
Lévi-Strauss, Claude: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1981, frz. 1947
Quignard, Pascal: Le sexe et l’effroi, Paris (Gallimard) 1994


Aus: figures de la psychanalyse ‒ Logos/Anankè No 23: De l’homme en psychanalyse, Paris (érès) 2012, S.113-125. ‒ Aus dem Französischen von Hans-Peter Jäck.


[1] Sigmund Freud, Die Freudsche psychoanalytische Methode (1904), in: ders., StudA. Ergänzungsband, Frankfurt am Main (Fischer) 1982; S.105.
[2] Jacques Lacan, Le transfert/Die Übertragung, Das Seminar, Buch VIII (1960-1961), Paris (Seuil) 1991, Sitzung vom 7. Dezember 1960.
[3] Sigmund Freud, Über die allgemeine Erniedrigung des Liebeslebens (1912), in: ders., StudA. Band V, Frankfurt am Main (Fischer) 1982; S.209.
[4] „[Freud] hat immer auf der grundlegenden Dissymmetrie des Ödipus bei beiden Geschlechtern bestanden. […] Und die Einzelstudien, die Freud dazu angestellt hat, zeigen das deutlich. […] Was sagen sie demnach aus? ‒ Nichts anderes als dass der Grund dieser Dissymmetrie hauptsächlich auf der Ebene des Symbolischen zu finden ist, d.h. dass sie sich am Signifikanten festmacht.“ J. Lacan, Les psychoses/Die Psychosen, Das Seminar, Buch III (1955-1956), Paris (Seuil) 1981; S.198.
[5] J. Lacan, La signification du phallus/Die Bedeutung des Phallus, in: Écrits, Paris (Seuil) 1966; S.695.
[6] Es handelt sich hier um das masochistische Phantasma des [Freud’schen] «Ein Kind wird geschlagen», in dem es um Schläge und Liebe geht, was zum Genießen führt, so sagt uns Freud.
[7] J. Lacan, Les formations de l’inconscient/Die Bildungen des Unbewussten, Das Seminar, Buch V (1957-1958), Paris (Seuil) 1998; S.403.
[8] Lacan sagt über das Subjekt Don Juan und dessen „mutmaßliches Begehren“: „[…] das Begehren bringt nur wenig in die Angelegenheit ein: wenn der Geruch der Frau ‒ der «odor di femina» ‒ vorüber ist, dann erst kann er erkennen, dass es Donna Elvira ist ‒ d.h. diejenige, von der er das Höchste genossen hat ‒, die durch die Szene schreitet.“ – J. Lacan, L’angoisse/Die Angst (1962-1963), Version der Association freudienne internationale, 2001, Vorlesung vom 27. März 1963; S.257. Vgl. auch: J. Lacan, L’angoisse/Die Angst, Das Seminar, Buch X (1962-1963), Paris (Seuil) 2004.
[9] „Wir können sagen, dass der Religiöse die Last der Ursache Gott überlässt, doch dadurch schneidet er sich den eigenen Zugang zur Wahrheit ab. Auch ist er veranlasst, die Ursache seines Begehrens wieder an Gott zu delegieren ‒ und das ist das eigentliche Ziel des Opfers. Sein Verlangen ist dem mutmaßlichen Begehren eines Gottes unterworfen, den es nun zu verführen gilt. Das Spiel um die Liebe findet hier sein Einfallstor.“ J. Lacan, La science et la vérité/Die Wissenschaft und die Wahrheit, in: ders., Écrits. a.a.O.; S.872.
[10] J. Langshaw Austin, How to do things with words, frz. Quand dire c’est faire, Paris (Seuil) 1991; S.41.
[11] „[…] Wenn ich im Standesamt oder am Altar sage «Ja, ich will!», dann ist das kein Bericht über eine Hochzeit, sondern es bedeutet, dass ich heirate.“ ‒ Ibidem.
[12] J. Lacan, L’acte psychanalytique/Der psychoanalytische Akt, Das Seminar, Buch XV (1967-1968), unveröffentlichtes Manuskript.
[13] Das Wort «Scharlatan» stammt aus dem italienischen „ciarlare“: ‚schwülstig daherreden, schwatzen‘. Der Scharlatan war ursprünglich ein wandernder Bauchladenhändler, der mit Drogen handelte und auf öffentlichen Plätzen und Märkten die Zähne zog. Im landläufigen Sinn ist der Scharlatan jemand, der die Gläubigkeit seiner Mitmenschen ausnützt, der seinen Ruf auf Versprechungen und großtuerischen Reden gründet.
[14] „Don Juan bedeutet die Auslöschung der komplexen Beziehung des Mannes zu seinem Objekt, doch unter der Bedingung, dass er seinen radikalen Betrug akzeptiert.“ J. Lacan, L’angoisse/Die Angst, a.a.O., Vorlesung vom 20. März 1963; S.248.
[15] Ibid.; S.247 und 257.
[16] Der Don Juan [Don Giovanni] von Da Ponte/Mozart führt uns eine Zeitspanne vor, in der kein Eroberungsversuch auch nur annähernd wie erwartet gelingt. Und zum Thema Casanova gibt es den wunderbaren Film von Federico Fellini, der aus ihm eine zumindest lächerliche Figur gemacht hat.
[17]Das Phantasma des Don Juan ‒ als solches ausschließlich ein weibliches Phantasma ‒ ist der Wunsch der Frau nach einem Bild, das eine imaginäre Funktion, die Funktion eines Phantasmas spielt, nämlich die, dass es einen ‒unter den Männern ‒ gibt, der ihn hat ‒ und das ist natürlich und erfahrungsgemäß eine offenkundige Verkennung der Wirklichkeit; es kommt aber noch besser: er soll ihn immer haben, er kann ihn nie verlieren.“ J. Lacan, L’angoisse/Die Angst, Das Seminar, Buch X (1962-1963), a.a.O.; Vorlesung vom 27. März 1963; S.257.
[18] Ich verdanke diese Einsicht Francisco Rengifo, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass Lacan in seinem Seminar «L’identification»/«Die Identifizierung» erklärt hat, dass de Sade für jede eroberte Frau immer eine Marke, eine Kerbe an seinem Bett angebracht hat. Vgl. J. Lacan, L’identification/Die Identifizierung, Das Seminar, Buch IX (1962-1962), unveröffentlichtes Manuskript der Association freudienne internationale, 2000. ‒ [Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass diese Praxis auch in die Geschichten über Westernhelden Eingang gefunden hat: für jeden Erschossenen soll es eine Kerbe am Pistolenknauf gegeben haben. – A.d.Ü.]
[19] Der Identifizierungsprozess impliziert die Re-Inszenierung des Vatermords als phantasmatischen Akt.
[20] Diese Einsicht verdanke ich Orsola Baberis. Vgl. Pascal Quignard, Le sexe et l’effroi, Paris (Gallimard) 1994, S.27.
[21] Die Erniedrigung, die die Frau beim Verführer sucht, liegt nicht auf der masochistischen Ebene, und es geht hier auch nicht um eine Form der Unterwerfung unter den Mann, die für die Frau konstitutiv wäre.
[22] Man lese zu diesem Thema Franz Kafkas Erzählung «Das Urteil». Genau wie im Falle des Don Juan/Don Giovanni wird dort der Protagonist vom Vater «getötet»: Don Juan stirbt wirklich, die Hauptfigur der Erzählung [Gregor Bendemann] begeht Suizid, um durch den Vater verdammt zu werden.
[23] „Dieser Genuss des Augenblicks ist, obgleich nicht im äußeren, so doch im geistigen Sinn eine Vergewaltigung, und bei der Vergewaltigung ist der Genuss nur ein eingebildeter, etwas das so wenig Art hat wie ein gestohlener Kuss.“ Søren Kierkegaard, Das Tagebuch des Verführers, Stuttgart (Reclam), 1994; S.63.
[24] Zu lesen als Genitivus subjectivus und objektivus. ‒ [Das gilt auch für alle folgenden Genitive. ‒ A.d.Ü.]
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