Der Verführer zwischen Tragödie und Neurose
„…
so wird man sich auch nicht etwas anderes
zum
Ziel der Behandlung setzen
als
die praktische Genesung des Kranken,
die
Herstellung seiner Leistungs- und Genussfähigkeit.“
„Je
besser [das Subjekt] analysiert ist,
desto
mehr ist es möglich,
dass
es offen seine Liebe oder seine Abneigung oder den Ekel
für
die elementarsten Arten von körperlichen Beziehungen
gegenüber
seinem Partner zeigen kann.“
„Die Anatomie ist das Schicksal“, sagte Freud und nahm
damit das bekannte Aperçu Napoleons wieder auf. Man mag das schockierend und
zugleich bedauerlich finden, dennoch aber entbehrt es nicht einer gewissen
Wahrheit. Die Anatomie „begünstigt“ die je an den besonderen Konstanten der Geschlechtszugehörigkeit
ausgerichteten Handlungen. Das heißt allerdings nicht, dass gewisse für Männer
oder den Frauen als typisch angesehenen Verhaltensweisen in den Genen
eingeschrieben, sie also durch den anatomischen Unterschied determiniert seien.
Freud blieb keineswegs beim körperlichen Unterschied stehen: seiner Ansicht
nach beruht die Dissymmetrie der Geschlechter nicht auf einer Basis des
Organischen, sondern auf der des Symbolischen.
Das unterschiedliche Verhalten
beider Geschlechter ist nur die Folge imaginärer Auswirkungen einer
Geschlechterdifferenz, die auf symbolischer Ebene gründet, d.h. auf einer
Differenz, die ‒ so Lévi-Strauss ‒ von Generation zu Generation über die
Sprache, das Sprechen und die Verwandtschaftsstrukturen weiter gereicht wird.
Die Anatomie ist daher den symbolischen Gesetzen unterworfen: das Symbolische
konstruiert den Körper, gibt ihm über die imaginären Bedeutungen hinaus einen
Sinn ‒ männlich, weiblich. Das gilt z.B. auch für den sogenannten „natürlichen“
Schürzenjäger. Die Dinge sind also tatsächlich viel komplizierter.
Von seinem
Begehren aus gesehen befindet sich der Mann wahrscheinlich in einer Sackgasse.
Betrachten wir hier den Fall des Verführers einmal näher: seine Handlungsweisen
enthüllen, wie schwierig es für ihn ist, sich nach seinem Begehren zu richten,
besonders nach dem Begehren [nach] einer Frau. Hierzu sollten wir anmerken, dass
die Untreue keineswegs ein feststehendes und unveränderbares Verhalten des
Mannes ist. Das schreibt schon Lacan:
„Wir
sollten nicht glauben […], dass die sich [oft] zeigende Untreue des Mannes eine
konstitutive Funktion des Männlichen, ihm von daher eigentümlich sei.“
Auch eine Frau kann sich in einer solchen Lage befinden, und zudem ist
nicht jeder Mann ein Verführer.
Das Verhalten des
Verführers zeigt sich in unterschiedlichsten klinischen Strukturen. Manche
Männer verführen eine Frau und verlassen sie, wenn sie das, was sie von ihr wollten oder glauben gewollt zu haben, bekommen haben. Was aber wollten sie denn
nun tatsächlich von dieser Frau? Oberflächlich gesehen vielleicht nur die Telefonnummer,
ein Rendezvous, einmal oder mehrmals mit ihr zu schlafen oder auch Kinder… Das
Ziel erreicht zu haben, ist oft gleichbedeutend mit der Flucht des Verführers
(mit oder ohne weitere Erklärungen), und diese Flucht kann ein endgültiger
Abschied sein oder aber auch in einem für die Frau ermüdenden Hin und Her
bestehen, solange sie sich das eben gefallen lässt. Es kann aber von seiner
Seite her auch zum Verrat und zu endlosen Betrügereien kommen.
Ein
unwiderstehlicher Drang stößt den Verführer zur Frau hin, wobei er sich unter
einen Eroberungszwang gesetzt fühlt. Dabei ist er keineswegs immer wählerisch
(siehe Don Juan/Don Giovanni): es geht ihm allein um Quantität, und sollte die Beute
tatsächlich nicht nach seinem Geschmack sein, so macht ihm das letztlich gar
nichts aus: Quantität wiegt mehr als Qualität. Das Bedürfnis zu verführen und
zu betrügen, zeigt sich bei manchen Männern wie ein kategorisches «Es muss sein», dem sie sich wie unter
einen höchsten Drang zu unterwerfen haben.
Geht es aber
hier um das wirkliche Begehren des Mannes?
Der zwanghafte Verführer: zwischen Ritual und Glücksbringerschaft
Wenn das
sexuelle Begehren dem Trieb unterliegt, dann kann es mit einer Hemmung des Genießens
einhergehen, weil sich das Subjekt mit dem (mütterlichen) Phallus identifiziert.
Es riskiert dann, das Genießen zu „verpassen“ (Impotenz, Frigidität), gerade so
als ob Körper und Genießen des Partners das Genießen des Subjekts konterkarieren
würden.
Hierbei ist
die Passivität, die die
Passion der Liebe [
die Freud’sche *Verliebtheit ‒ A.d.Ü.] mit sich bringt, wohl
ausschließlich am Genuss ausgerichtet
; sie ist keineswegs
vernichtend, wie etwa die
Selbstsucht
(
passion de soi), die sich oft hinter
der sexuellen Leidenschaft im engeren Sinne verbirgt, oder wie die Leidenschaft
zu Erobern (Don-Juanismus). Der Verführer verzichtet auf die Passion des
anderen zugunsten seiner eigenen Selbstsucht. Das durch wiederholte Eroberung
und Untreue ausgelöste Genießen verspielt die Begegnung des Subjekts mit der
Ursache seines Begehrens. Der Don-Juanismus ist von daher ein Symptom auf der
Kehrseite des Hysterischen und des Zwanghaften; es ist keineswegs eine
Strukturbedingung der Männlichkeit.
Weshalb aber
ist der Verführer immer bestrebt, seine phallischen Vorzüge unter der Gemeinschaft
der Frauen zu verstreuen? Es geht in Wirklichkeit um anderes als um eine solche
Verteilung: es geht um «Raub»! Er selbst ist es, der, indem er seinen Penis gibt,
von allen Seiten den «Phallus» zu erhaschen versucht. Die eroberte Frau, besetzt
mit dem Bild vom allmächtigen Phallus, stellt für den Verführer nichts weiter
dar als eine immer wieder zu erobernde Trophäe.
Der Verführer
verwechselt das Begehren nach dem Phallus (φ) mit der Ursache des Begehrens (a). In der Suche nach dem Phallus hat
der Verführer vom Typ Casanova das Bedürfnis, sich selbst im Spiegel des
Körpers seiner Partnerin zu bewundern: ohne dieses beständige imaginäre und
trügerische Bild fühlt er sich jeglichen Begehrens beraubt. Dieses Begehren hat
aber dieselbe Konsistenz wie das Reflexionsbild des Phallus im Spiegel, mit
anderen Worten: diese Konsistenz gibt es gar nicht!
Wird ein Zwangsneurotiker zum Verführer, dann
sucht er nicht in derselben Weise nach dem Phallus wie der Hysteriker: eher will
er sich dieses Phallus entledigen, indem er ihn bedingungslos an alle Frauen
abgibt. Für ihn ist die Eroberung aller Frauen absolut lebensnotwendig, und das
vor allem wegen seines Begehrens: das zwanghafte Begehren erscheint Letztenendes
so, als ob das Subjekt ihm keinerlei Vertrauen schenkt; allein das Sammeln von
Frauen könnte demnach den Zwangscharakter mit seinem Begehren für eine zeitlich
begrenzte Spanne wiederbeleben. Bei dieser Frauensammlung kommt es freilich
nicht auf den Wert eines Einzelstückes
an: was zählt ist Quantität und Variabilität. Für den Sammler erhält jedes
Einzelstück seinen Wert immer nur in Bezug auf die Gesamtheit, auch wenn sich
darunter ein gegenüber allen andern bevorzugtes Stück befindet. Immer macht das
Stück, das er gerade nicht besitzt, den
eigentlichen Wert aus. Genauso zählt für den Frauensammler eine Frau in ihrer Einzelheit und Gesamtheit (unité) nichts ‒ eben weil sie den Wert
des „fehlenden Glieds“ annimmt.
In seinem
Seminar «
Les formation de l’inconscient»/«
Die Bildungen des Unbewussten» erinnert Jacques
Lacan daran, dass der Zwangscharakter nicht weiß, wie er das Begehren an seinem
Platz aufrechterhalten kann
: er braucht das Ansammeln
von Frauen als «
scheinbare Stütze»
seines Begehrens. Die Frauen
retten
den Zwangscharakter, oder besser: sie retten ‒ offensichtlich ‒ sein Begehren!
So etwa bei Casanova: für ihn ist die Frau Trägerin von Energie und Lebenskraft;
die Frau ist die Stütze der Existenz, der ‒ zweifelhafte und zerbrechliche ‒
Anker des Begehrens. Jede Frau in der Sammlung des Verführers hat die Funktion
eines
vorübergehenden Objekts des
Begehrens; dabei entgleitet ihm aber die Ursache (des Begehrens).
Das Begehren
nach Verführung ist nur ein Schein-Begehren.
Wenn es für den
hysterischen Verführern ein Begehren (in
Form eines nicht zu befriedigenden Begehrens) nach dem Phallus maskiert, dann
erweist es sich für den
Zwangscharakter
als eine Äußerung des Über-Ichs, allerdings in verdrehter Weise. Der väterliche
Befehl ‒ «
Du musst jede Frau verführen!»
‒ verwandelt sich in die «
Erlaubnis,
Frauen aufzureißen»: gerade so als ob das Subjekt erst noch auf eine
Erlaubnis wartete ‒ eine Erlaubnis, die ihm offenkundig erteilt wird. Aber in
Wirklichkeit geht es hier nicht um eine Erlaubnis, sondern um einen Befehl!
Dieser Befehl
nimmt die Gestalt einer Erlaubnis an, er kommt vom väterlichen Über-Ich,
welches das Begehren des Subjekts „korrumpiert“ und dadurch die Gelegenheit
bietet, ihm ausweichen zu können. Es bestünde ja immerhin die Gefahr, dass das
Begehren ein allzu großes Genießen auslösen könnte: dadurch dass dieses
Genießen auf ein große Anzahl von Frauen verteilt wird, kann es abgelenkt und
zugleich abgeschwächt werden.
Es geht um ein
zurückgehaltenes, unterdrücktes Begehren, ein unterdrücktes Genießens mithilfe
der Kollektion von Frauen; dafür erhält man ein kleines, trostspendendes
Genießen, das immer ein wenig frustrierend ist (auch wenn es den Anschein erweckt,
es sei das nicht). Die Unterdrückung, die Zurückhaltung der Genießens
angesichts einer ungeheuren Vielzahl von Eroberungen zeigt deutlich den analen
Charakter des zwanghaften Charakters: er sucht nach Amouren, die ihn nichts
kosten. Eine [wirklich] geliebte und begehrte Frau ‒ eine Frau als Ursache des
Begehrens (oder wie Lacan sagen würde: eine Frau als Objekt a) ‒ wäre im Hinblick auf das Begehren
und das Genießen allzu kostspielig!
Von der Zurückhaltung
des Begehrens gelangt man schnell zum Begehren der Zurückhaltung: die Ursache
des Begehrens wechselt ihren Ort und geht über von der Frau zum Akt der
Zurückhaltung, zum Begehren nach Zurückhaltung, das sich hinter dem systematischen
Eroberungszwang nach Frauen verbirgt.
Sowohl Freud
als auch Lacan haben auf den religiösen Charakter des Zwangscharakters
hingewiesen. Für den zwanghaften Verführer ist die Eroberung von Frauen ein
religiöser Akt: die Eroberung wird zum Ritual,
zur Magie, zum Glücksbringer. Jedes Begehren und jedes Verliebtsein verlangen nach
einer gewissen Dosis von Glauben an das phallische
(oder auch an das fetischistische) Objekt;
für den zwanghaften Verführer besteht das Ritual der Eroberung aber in einem
wahren Akt des Glaubens: es geht um den Befehl der Unterwerfung, der Hingabe (dévotion). Und genau wie Gott den Treuen
im Glauben stützt, so stützt das Objekt – eine Frau nach der anderen… ‒ den
Verführer: die Frau ist die Chance, die er nicht auslassen darf.
Die Eroberung
wird dadurch zum Ritual: wie jedes Zeremoniell verlangt sie nach einer gewissen
Form von Stabilität, von aufbauendem Halt; demgegenüber lösen die Fluktuationen
des Begehrens bei ihm nur Angst aus.
Das Ritual
verschiebt die Frage des Begehrens, das Begehren verwandelt sich in Zweifel: Begehre ich dieser Frau nun wirklich oder
eher nicht? Dem Zeremoniell kommt dieselbe Schutzfunktion zu wie dem
Zweifel: Soll das Begehren
beiseitegelassen werden, soll es unmöglich gemacht werden? Das Begehren
nach allen Frauen ‒ «ich muss sie alle
begehren!» ‒, ist das nun eine Akkumulation oder ein Fluch? Dieses Begehren
ist eine Art Hemmung des Begehrens auf gerade
diese Frau (Ursache des Begehrens, Objekt a). Das Ritual, alle Frauen zu erobern ‒ eine nach der anderen ‒,
führt [letztlich] zum Zwang, alles Begehren zu opfern. Das Subjekt ist von der
Ursache (seines Begehrens) abgeschnitten, es weist die Wahrheit von sich. Die
Akkumulierung lässt die Spielkarten durcheinanderbringen und macht das Opfer genauso
unkenntlich wie der Verzicht auf das Begehren.
Hier haben wir
es mit demselben Prozess zu tun wie beim Glauben: man folgt dem Zeremoniell (Gebet,
Messe etc.), um zu vermeiden, dass man sich mit der
wahren Frage konfrontiert:
Glaube
ich an Gott oder glaube ich nicht an ihn? Das Werk der
Verschiebung aufs Zeremoniell verwandelt das Läppischste ins Wesentlichste,
ins Gebieterischste. Freud erklärt in «
Zwangshandlungen
und Religionsausübungen» (1907), dass aus dem „läppischen“ Zeremoniell der
Religionsausübungen der gedankliche Inhalt ‒ die
Ursache ‒ verbannt ist; genauso geschieht das beim Zwangscharakter,
bei dem die Ursache des Begehrens hinter der Anhäufung von Frauen verschwindet.
Lacan bemerkt dazu:
„… der Religiöse
überlässt Gott die Last der Ursache“;
der sich ganz seiner Sache widmende Verführer bringt die Ursache (des Begehrens)
Gott zum Opfer; die Eroberung verwandelt sich in eine Opfergabe: natürlich an
Gott, oder anders gesagt: an den Vater! Es geht also darum, dem Vater etwas zu
überbringen, ihm etwas wiederzubringen. Und das ist wahrlich eine seltsame Art,
seine symbolische Schuld zu begleichen!
Die Verführung
hat zudem noch eine moralische Seite:
sie steckt in den manchmal recht vorhersehbaren Handlungen des «hingebungsvollen» Verführers. Dieser ist
überzeugt davon, richtig zu handeln, Gutes zu tun, wenn er jede Frau seinem
Ritual gemäß verführt; er glaubt nämlich, er würde das Paradies erobern und es
mit anderen teilen. Genauso der Gläubige, der sich des Rechts aufs ewige Leben
sicher weiß, und zwar dank seiner rituellen Gebete anlässlich des religiösen
Zeremoniells.
Der hysterische Verführer und der
performative Akt
Auch für den hysterischen Verführer gerät das
Begehren in eine Panne und die Verführung ist der perfekte Kompromiss zwischen
dem Akt und seiner Verneinung. Der Hysteriker begehrt und weist bzw. hält
zurück, statt zu begehren und zu genießen: die Verführung (und die daraus
notwendigerweise erfolgende Flucht) ist der deutlichste Ausdruck dieser beiden
unvereinbaren Momente. Das Begehren des Hysterikers hält sich demgegenüber nur
aufgrund einer Ausflucht aufrecht; doch dieses unbefriedigte Begehren ist nicht
das Begehren des Unbewussten, das Begehren als Ursache, und es hat auch nichts zu tun mit dem Entbehren, der „Privation“, des Objekts: in der Hysterie
ist nicht die Kraft des Triebs, die ihr Ziel verfehlt und sich in einer
Schleife verfängt, am Werk.
Das Problem
des Hysterikers:
Wie kann man begehren
und zugleich seinem eigenen Begehren entwischen? Um mit einer Frau sein
Spiel ‒ Begehren und zugleich Sich-Entziehen ‒ zu spielen, muss der hysterische
Verführer Versprechungen leisten:
Ich
werde anrufen, ich lade dich zum Ausgehen ein, ich lade dich zum Essen ein, wir
gehen zusammen aus, wir machen dieses oder jenes zusammen, ich liebe dich, ich
will dich etc. Das
Versprechen
nimmt hierbei die Gestalt des Akts der Verführung selbst an, denn es stellt
genau jenen Moment dar, der das Begehren des Verführers nach einer Frau zum
Ausdruck bringt: es „
wird zur Tat“! Für
den hysterischen Verführer steckt schon die ganze Tat in der Aussage, Sprechen
ist selbst ein Akt: in seinen Augen ist sein Versprechen ein performativer
Satz. In «
How to do things with words»
erklärt
der analytische Philosoph J.L. Austin, dass es Aussagen in der ersten Person Singular
Indikativ Präsens aktiv gibt, die weder wahr noch falsch sind, die schon allein
in Form einer Äußerung dem Vollzug einer Handlung entsprechen. So ist zum Beispiel
das «Ja» jedes Partners anlässlich einer Hochzeitszeremonie ein performativer
Akt, denn es geht hier um eine Aussage, die eine Handlung schafft; im erwähnten
Fall dient sie dazu, die Hochzeit zu vollziehen. In solchen Fällen will ein
performativer Satz nichts beschreiben oder versprechen, sondern er
tut es.
Im Falle des Verführers
ist der Satz «
Ich will dich»,
geäußert vor dem Beginn einer Liebeshandlung, ein performativer Akt ‒
allerdings nur für den Verführer! Er glaubt so sehr an sein Begehren, dass er
darin schon den Akt selbst sieht. Der [Sprech-]Akt ist immer der Ausdruck eines
Begehrens
,
und in den Worten des Verführers steckt [etwas an] Begehren. (Ich beziehe mich hier
ausschließlich auf die Fälle, die in einem Zusammenhang stehen, welcher der
Erzeugung des Begehrens günstig ist; ich analysiere demnach nicht die Fälle des
„reinen“ Betrugs oder die Fälle mit all den anderen Implikationen, sondern es
geht mir nur um das Begehren, eine Frau zu verführen.)
Das Begehren
des hysterischen Verführers drückt sich in einem Sprechen aus, das keiner
richtigen Handlung entspricht: das Performativ des Verführers scheitert. Seine
Handlung ist in den Augen des anderen keine Handlung, der Verführer ist ein
„Scharlatan“.
Seine vorgebliche Tat windet sich in einer Schleife und verflüchtigt sich in
der Aussage «
Ich will dich», und
dieser Satz beinhaltet sowohl das Begehren wie auch dessen Verneinung: das
falsche Performativ kann zum
hysterischen Symptom werden.
Das
Versprechen des Verführers ruft sein Begehren auf, schließt ihn aber selbst als
Subjekt aus. Das Performativ ist seines Subjekts beraubt, weil sich im
Sprechakt des Verführers Begehren und Subjekt gegenseitig vertreiben: es gibt
hier kein Performativ, weil es kein Subjekt gibt. Der hysterische Verführer
weiß nicht, ob er gerade den andern täuscht oder ob er sich selbst täuscht
(denn er ist dabei, sein Begehren zu täuschen): das Begehren ist schon verloren,
an den Rand geschoben und annulliert, sobald es sich über das Wort offenbart.
Dieses Wort verliert jeglichen symbolischen Wert und sagt überhaupt nichts aus:
wenn ‚sagen‘ gleich ‚tun‘ heißt, dann zugleich auch ‚nicht-tun‘ ‒ d.h. im Sinne
des Hysterikers: ‚es ist schon vollbracht‘, und mehr wird nicht getan, weil ja
schon alles ‚Tun‘ im ‚Sagen‘ steckt.
Die Macht des
falschen performativen Worts des Verführers steckt also gerade im Indikativ
Präsens der ersten Person Singular; es handelt sich hierbei um die unendliche
Entfaltung des reinen Präsens, bei der das Futur als Garantie für dessen
Scheitern fungiert. Hinter der Absicht eines Verführerworts steht seine
Selbstauslöschung: die Ohnmacht eines Begehrens, das sich verneint und das das
Sprechen zu einer schmerzvollen, unbefriedigenden, unendlichen Wiederholung
verdammt ‒ wobei nicht zu vergessen ist, dass jede Repetition gegenüber der vorigen
immer an Kraft einbüßt.
Der
hysterische Verführer entzieht sich der Wahrheit seines Begehrens, er
verteidigt sein „
falsches Performativ“
gegen den „
Konstativ“ ‒ um es in den
Worten der analytischen Philosophie auszudrücken: die Versprechungen verschwimmen
und die Begegnung mit seinem Begehren (mit der Frau als der Ursache des
Begehrens
)
ist den Launen des Schicksals ausgeliefert. Um es nochmals zu wiederholen:
Begehren und Subjekt gehen getrennte Wege.
Der Mythos des Verführers
Lacan merkt
mehrmals an, dass Don Juan ‒ der Verführer
par
excellence ‒ ein weibliches Phantasma ist
; diese Vermutung mag auf
den ersten Blick überraschen: Warum sollte ausgerechnet eine Frau von so einem
Typ träumen?!
Trotzdem steckt
in dieser Behauptung etwas Wahres: Wie ließe sich andererseits der Erfolg so
vieler Verführer bei den Frauen erklären? Und zudem sollte man nicht vergessen,
dass der Typus Don Juan durchaus auch bei Männern ankommt! Der Mythos vom Mann,
der alle Frauen besitzt, ist also auch eine männliche Fantasie: der Verführer
wäre demnach „
ein Mann, dem nichts fehlt“,
der „
ihn nicht verlieren kann“
, und wie Lacan sagt:
„Ein Vaterbild, das nicht kastriert ist,
[…], eine bloße Imago“. Männer und Frauen sind fasziniert vom Verführer ‒
die Männergemeinschaft nimmt ihn sich manchmal auch zum Vorbild ‒, er ist der
*Ersatz des allmächtigen Vaters:
der Vater-der-Allmächtige wird demnach also
durch den Verführer «
wiederbelebt».
Doch, wie Freud in «
Totem und Tabu»
sagt: solange der Vater am Leben ist, bleibt für die Befriedigung des Sohnes wenig
Raum. Der Sohn glaubt daran, er glaubt, dass der Vater genießt (er denkt, dass
die Tatsache,
alle zu haben, der
Schlüssel allen Genießens sei). Und dabei vergisst er, dass
jeder Vater ‒ und hiervon ist auch der
allmächtige Vater nicht ausgeschlossen ‒ strukturell dem Tode geweiht ist. Es
muss demnach etwas geben, das den Gedanken verbannt, der Vater sei sterblich.
Der Verführer
hält sich für den (sexuell) allmächtigen Vater. Er sammelt Frauen so, als ob er
‒ eine nach der anderen – mit einer
Marke,
einer Kerbe notiert: jede Frau repräsentiert einen charakteristischen Zug (
trait), einen Zug, der dem Vater, der „
sie alle hat“, ähnelt.
Gleichzeitig aber wird
mit jeder Kerbe ‒ also mit jeder Frau ‒ die Entfernung vom Ausgangspunkt, d.h.
vom Vater, immer größer. Hier gewinnt das Nicht-Befriedigtsein Platz, das sich
an jedem Moment in der Reihe der Eroberungen – ein ‚
Zug‘ nach dem anderen ‒ einstellt. Das Phantasma des Vaters-des-Allmächtigen
(die Fantasie der Allmacht, alle Frauen zu haben, heißt: den Phallus zu haben)
führt zur Enttäuschung.
Einem solchen
Verführer gelingt es nie, den Vater zu töten. Zu seinem Unglück ist das Faktum,
„die“ Frau oder „die“ Frauen des Vaters zu haben, nicht gleich, ihn zu töten;
hier macht sich die Kastration bemerkbar, und die Enttäuschung, die der
Eroberung oft auf dem Fuße folgt, zeigt das recht deutlich. Die Begeisterung,
die Arroganz und der Stolz über jede systematisch eroberte Frau ‒ all das ist
nichts weiter als die fabrizierte Illusion (φ), die das Fehlen, den Mangel (‒φ)
dissimuliert und das Begehren (a)
zwingt, sich von neuem wieder zu verändern.
Auf der
hysterischen Seite verliert sich der Verführer schließlich ganz in seinem
Begehren, weil er nicht weiß, ob er den Vater und dessen Begehren oder ob er sein
eigenes Begehren aufrechterhalten soll. Indem er tut, was der
ideale Vater mit den Frauen tut,
imitiert er ihn nur ‒ aber
Imitation
ist keine symbolische
Identifizierung: der hysterische
Verführer begehrt, wovon er glaubt, sein idealer Vater begehre es auch. Die Tat
des Hysterikers geht dem Phantasma des (sexuellen) Vaters-des-Allmächtigen voraus,
ist dessen Konstruktion. Auf Seiten des Zwanghaften schneidet sich der
Verführer von seinem eigenen Begehren ab: das Subjekt tötet nicht den Vater,
sondern sein eigenes Begehren ‒ anders gesagt: mit jeder Eroberung verblasst
sein Begehren ein Stück mehr.
Bei der
seriellen Eroberung bleibt das stärkste Genießen mit dem [Genießen] der Schuldhaftigkeit
gegenüber dem Vater verbunden. Der Verführer scheint den Platz des Vaters einnehmen
und tun zu wollen, was dieser tut; doch was er [tatsächlich] begehrt, ist: von
ihm bestraft zu werden. Hier nimmt die Andere Frau (Autre femme) ‒ und dieses Mal die offizielle, standesamtlich
angetraute Frau ‒ oft die Position des Vaters ein: sie schlägt [zu], wenn sie
sich ärgert, oder sie verlässt oder misshandelt ihn ihrerseits etc.
Der Verführer, die Frau, der
Vater
Warum aber
soll Don Juan ein weibliches Phantasma sein? Und wie kommt es, dass der
Verführer das weibliche Begehren entzünden kann? Es ist ja nicht unbedingt die
(sexuelle) Allmacht des Verführers, welche zur Erregung der Frau führt ‒ sie
weiß [ja], dass der Phallus leicht die Luft verliert und… abschwillt. Es geht
ihr eher um eine Herausforderung. Und wir werden noch sehen, wie das
funktioniert.
Der Vater ist
der erste Mann, der ‒ strukturell (d.h. unabhängig von allem, was er tut) ‒ seine
Tochter «verführt und verlässt». Mit
dem Verführer kann die Frau diese traumatische Erfahrung wiederholen,
allerdings mit einer Besonderheit: sie kann jetzt die passivische Haltung «Ich bin vom Vater verlassen worden» in
eine aktivische umkehren: «Ich verlasse
den Vater»; mit anderen Worten: «Ich
töte ihn».
Wie aber kann
sie glauben, sie könne den Vater verlassen (töten)?
Über den Weg
der
Erniedrigung (
dégradation) ihres Körpers und des
Auslöschens seines Namens! ‒ Hier zeigen
sich zwei einander entsprechende Dispositive: der Körper der Frau kann nur
entwertet werden, wenn der Name des Mannes nicht ‒ auch nicht symbolisch ‒ mit
im Spiel ist. Seit den Zeiten der alten Römer steht die Erniedrigung des
Körpers auch für die Beschmutzung des Namens, weil diese die Vertrauenswürdigkeit
der familiären Abstammungslinie nicht mehr garantiert:
mater certissima, pater semper incertus/die Mutter ist allemal sicher,
der Vater ist immer unsicher, sagte man
. Die treue Gattin
Lukrezia nimmt sich das Leben, weil sie von Sextus vergewaltigt worden war;
durch die Vergewaltigung ist ihre Fruchtbarkeit beschmutzt.
Im Gegensatz
dazu sucht die Frau, die mit einem Mann geht, der sie misshandelt, nach der
Erniedrigung in Gestalt des Verführers. Doch sie sucht sie nicht allein für
sich (vom Verführer verlassen zu werden, heißt: vom Vater verlassen werden) ‒
sie will auch den Vater demütigen (demütigen oder erniedrigen heißt: ihn
verlassen).
Der Verführer mortifiziert auf diese Weise die Frau und den Vater: der Name der
Frau, der zugleich auch der Name des Vaters ist, wird beschmutzt, entehrt,
beschädigt. Den Namen des Vaters beschmutzen, heißt: ihn abzuweisen und ihn zugleich
zu übernehmen: die Frau verliert ihren [und seinen] Namen und rächt sich damit
für das Verlassenwerden durch den Vater. Freilich darf dabei nicht vergessen werden,
dass mit der Misshandlung durch den Verführer auch eine ‒ durchaus genießerisch
empfundene ‒ Bestrafung der Frau einher geht.
Nach der
Erniedrigung durch den Verführer
wird
die Frau verlassen (was wiederum das
Verlassenwordensein durch den Vater wiederholt) und
sie verlässt ihn –
verliert aber ‒ symbolisch ‒ durch ihr Verhalten ihren Namen. Der Verlust des
Namens (des Vaters) erweist sich so als eine Art subjektive [Her]Absetzung der
Frau: der Name kann [infolgedessen] dem «
Körper»
der Frau keinen Halt mehr geben. Darüber hinaus aber kann sie auch nicht einfach
den Namen ihres Verführers annehmen, denn der Verführer besitzt nur einen
geliehenen Namen. Er war ja unfähig, den
Vater zu töten und ihm den Namen zu entreißen. Wir können das recht gut an der
Geschichte von Don Juan sehen.
Der Verführer
sammelt Frauen, sammelt aber auch deren Namen: von jeder Eroberung erhofft er
sich, dass ein neuer Name in seinen Besitz übergeht, der seinem eigenen Namen
Konsistenz verleihen soll. Der Name des Verführers ist nicht das Symbol des
Resultats eines (mehr oder weniger heftig ausgefochtenen) Kampfes mit dem
Vater; er stellt nur dessen phallischen, unhaltbaren Glanz aus. Und jeder
eroberte Name entgleitet, entwischt ihm, verliert sich wie die enttäuschte
Liebe der Frau: eine Liebe, welche diese in Wirklichkeit ihrem Vater widmet ‒
der Verführer ist nur ein Werkzeug. Indem sie den Vater demütigt, bewahrt sie
sich ihn auch: die Schuldhaftigkeit lässt ihn von neuem erstehen und sie fällt
nach der Enttäuschung durch den Verführer wieder in seine (imaginären) Arme zurück
‒ ein neues Verlassenwerden!
Einerseits
verlangt sie nach der Liebe des Verführers, sie will eine Liebe erobern, die es
nicht gibt: als ob sie über die Liebe des Verführers ‒ eine eingebildete,
unhaltbare, unlebbare Liebe ‒ einem anderen ‒ dem Vater ‒ eine unmögliche Liebe
entreißen könnte.
In der
Beziehung zu ihrem Verführer zeigt die Frau, dass sie auf den Vater nicht
verzichten will/kann: das Verlassen (die aktive und passive Form), das sie
immerzu sucht, enthüllt ‒ und ich betone es nochmals ‒, dass der Verführer nur
eine Marionette an der Stelle des Vaters ist. Aber Letztenendes kann die Frau
dadurch einen Raum finden für die Liebe, die der Vater enttäuscht hat. Über
einen unmöglichen Mann kann sie unaufhörlich der unbefriedigenden, unvergesslichen
Liebe des Vaters
[endlich] ihren Ort zuweisen.
Ergebnisse
Der
Vaterkomplex – Liebe, Verführung, Verlassen, Trauer, Vatermord, Wiederauferstehung
des Vaters ‒ ist für die Frau der Knoten des Begehrens. Anders gesagt: die
Verführung des Vaters richtet das
Begehren des Subjekts aus. Verführen ist unmittelbar verbunden mit Verlassen;
auf der Ebene des Unbewussten überlagern sich beide und verschwimmen ineinander:
wir befinden uns hier am Ursprung des Begehrens, oder anders gesagt: an seiner
Ursache. Das Begehren ist die Wirkung, die Reaktion auf das Trauma der
Verführung und, in dessen Folge, das Verlassen des Vaters. Begehren kann aber auch heißen: zu akzeptieren, dass
man vom Vater verlassen worden ist und dass man beschließt, ihn zu verlassen;
aber weder der Verführer noch die verführte Frau haben je dieses Stadium hinter
sich gelassen.
Der zwanghafte
Verführer muss das Begehren ‒ im Sinne des Begehrens und seiner Ursache ‒ bei
sich behalten, unterdrücken oder auch «töten»;
der hysterische Verführer muss es [demgegenüber] fliehen. Für die leicht zu
verführende Frau geht es immer um die Verführung des Vaters, der verführt.
Die Sackgasse
hinsichtlich des Begehrens des Vaters
macht auch die Männer anfällig. Wenn sexuelles Begehren und Liebe für eine Frau
aufeinandertreffen, so wird es sehr schwer, diese beisammen zu halten. Das
Begehren kann sich zerstören (das ist die zwanghafte Variante) oder sich
verlieren (das ist die hysterische Variante). Der Beweis dafür ist der
Verführer: in den Augen des Verführers bricht [immer auch] die Haltlosigkeit
eines Eintagsbegehrens durch.
Bibliographie
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1991
Freud,
Sigmund: Die Freudsche psychoanalytische
Methode (1904), in: ders.: Studienausgabe (StudA.) Ergänzungsband,
Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: Zwangshandlungen und Religionsausübungen
(1907), in. ders.: StudA. Band Band VII, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: Über die allgemeine Erniedrigung des
Liebeslebens (1912), in: ders.: StudA. Band V, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: «Ein Kind wird geschlagen» (1919; in.
ders.: StudA. Band VII, Frankfurt am Main (Fischer)
1982
ders.: Der Untergang des Ödipuskomplexes
(1924), in: ders.: StudA. Band V, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders.: Totem und Tabu (1912-13), in: ders.:
StudA. Band IX, Frankfurt am Main (Fischer)
1982
Kafka, Franz:
Das Urteil, in: ders.: Das erzählerische Werk, Band I, Berlin
(DDR) (Rütten&Löning) 1983
Kierkegaard,
Søren: Tagebuch des Verführers,
Stuttgart (Reclam) 1994; dän. Forførerens
Dagborg, 1843
Lacan, Jacques: Les psychoses, Le Séminaire. Livre III (1955-1956), Paris (Seuil) 1981
ders.: La
signification du phallus, in: ders.: Écrits,
Paris (Seuil) 1966
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Aus: figures
de la psychanalyse ‒ Logos/Anankè No 23: De l’homme en psychanalyse, Paris (érès) 2012, S.113-125. ‒ Aus dem Französischen von
Hans-Peter Jäck.