یکشنبه
:Hans-Peter Jäck

Schuld und Transfiguration
?Mit dem Türknauf ins Offene


Überlegungen zu Steven Soderberghs
(Solaris“ (USA 2002„

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.Aber wie alle Marionetten denkst du, du bist ein Mensch„
.“Das ist schließlich der Traum jeder Marionette
(Gibarian zu Chris)
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Steven Soderberghs Film „Solaris“ (USA 2002, nach einer Novelle von Stanislaw Lem) handelt von einem (amerikanischen) Arzt und Psychologen namens Chris Kelvin, der seine große Liebe Rheya wegen der Abtreibung ihres Kindes verlässt und sie damit in eine solche Verzweiflung stürzt, dass sie sich mit den von ihm verordneten Tabletten das Leben nimmt. Zwar hatte Chris seinen Schritt schnell wieder bereut und war wieder zu Rheya zurückgekehrt, doch er kam zu spät, um den Suizid verhindern zu können und fühlt sich deshalb offenbar (mit)schuldig an ihrem Tod. Als er während einer Mission auf der Raumstation Solaris, auf der auf mysteriöse Weise lebende und tote Verwandte der Besatzung wiedererscheinen, Rheya (oder ihren Wiedergängerinnen) begegnet, will er die Chance ergreifen, seine Schuld gutzumachen und ein neues Leben mit ihr beginnen. – Soderbergh beabsichtigt, nach eigenen Aussagen, keineswegs ein Remake der früheren Verfilmung desselben Stoffs durch Andrej
Tarkowskij („Solaris“, UdSSR 1978), sondern er will die Lem’sche Novelle
einer neuen Lektüre unterziehen, die den Gehalt des Textes besser und
. genauer zur Darstellung bringen soll

Die Filmerzählung lässt sich einteilen in fünf Episoden, in denen Rheya, die Geliebte und Frau des Psychologen jeweils in unterschiedlicher Gestalt auftaucht; wir nummerieren ihre Erscheinungen deshalb von 1-5, obgleich
oder gerade weil) wir nie sicher sein können, dass wir es tatsächlich)
wirklich’) mit ein und derselben Person mit Namen Rheya zu tun haben.)
Letztlich wird uns ihre Gestalt immer aus der Sicht des Mannes und Psychologen Chris Kelvin gezeigt, dessen Perspektive der Filmemacher übernommen zu haben scheint. Wir haben Teil am männlichen Blick auf die Frau. Zugleich und parallel zu den unterschiedlichen Gestalten Rheyas macht die männliche Hauptperson Chris ebenfalls eine Metamorphose durch: der Psychologe verändert sich von einem offensichtlich durch den Suizid seiner Frau traumatisierten Subjekt zu einer neuen Gestalt, die sich völlig dem Bild, das er sich von Rheya macht, anverwandelt; er nimmt – in einer
Art (Wieder-)Spiegelung – im Laufe der Begegnungen mehr und mehr
einzelne Züge Rheyas an. Die Figur Chris Kelvin ist auf der Suche nach
ihrem „einzigen Zug“ (S. Freud) und überscheitet am Schluss in einer Art
Transfiguration oder Verklärung die Grenze des eigenen Lebens: Die
Liebe in scheinbar ewiger Präsenz wird Wirklichkeit in einer Welt des
.Jenseits von Leben und Tod

Aus der Perspektive des Zuschauers lässt sich dieser Film zudem als Allegorie des Kinos lesen: Nachdem der Zuschauer zunächst davon ausgeht, dass die handelnden Personen auf der Leinwand eine, nämlich „ihre“ Geschichte erzählen, findet sich der Zuschauer am Schluss zurückgeworfen auf die Position des Betrachters eines Films, d.h. zurückgeworfen auf die Wahrnehmung von Schattenbildern auf einer Leinwand, deren Erscheinungen beliebig changieren können, und zwar so weit, dass beide Hauptfiguren sich überlagern, und letztlich nur verschiedene Seiten ein und derselben Figur darstellen. Im Reich der Schatten des Kinos ist demnach das Gleiche möglich wie im mystischen Totenreich: wie im griechischen Mythos steht ein Schatten immer für einen anderen Schatten, ein Name für einen anderen, und die metonymische Kette des qui pro quo ist letztlich ohne Ende. – Mit Jacques Lacan könnte man deshalb behaupten: Schatten auf der Leinwand sind Signifikanten, die ein Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentieren. − Die Kraft oder die Energie, die das im Kino bewirkt, ist – neben dem Mechanismus des Projektionsapparats – das Licht, das im Film von der Gestalt des Planeten Solaris ausgeht; Solaris hat in Soderberghs Film – anders als bei Tarkowskij, wo der Planet am Schluss des Films als konvulsierendes Gehirn (Gottes? des Menschen?) gezeigt wird – eine nach aufeinanderfolgenden unterschiedlichen Lichtstufen differenzierte, zum Schluss sonnengleiche Gestalt angenommen: Solaris wird zum Licht, das im Filmprojektor vermittels des belichteten Filmzelluloids jene Schatten (und jene Schwarzstreifen zwischen zwei Filmbildern) auf der Leinwand erzeugt, die sich vor unseren Augen beständig wandeln. Die Schattenbilder stellen sich dar als eine fließende Signifikantenkette, deren Ende oder Endpunkt erst mit dem Filmschluss aufhört bzw. gesetzt wird (aber im Zuschauer immer noch weiterwirkt und fortgeschrieben wird). Erst von dort, also vom Ende her
m.a.W.: nachträglich), lässt sich ein vorläufiges «Bild» der Filmnarration)
fassen. – Der Psychologe Chris Kelvin wäre demnach nichts anderes als
der (ideale) Zuschauer eines Films, der von ihm selbst handelt. Er sieht
sich selbst beim Sehen zu. (Er macht sich sehen.) In einer Einstellung zu
Anfang des Films sieht man Chris auf eine Treppe zulaufen, die Kamera ist
neben ihm positioniert; bei der Wiederholung derselben Szene am Ende
des Films steht die Kamera auf der Treppe – also vor ihm – und ‚sieht’ Chris
dabei zu, wie er auf zu Treppe zuläuft; die Kamera hält so – gleichsam wie
.in einem Spiegel − den Blick des Protagonisten auf sich selbst fest

Diese Szene weckt die Erinnerung an Jean Cocteaus „Orphée“: der
Cocteau‘sche Opheus betritt durch den Spiegel – eine plastische
Masse − hindurch das Reich der Schatten, das Reich von Eurydike; als Spiegel
fungiert bei Soderbergh die Linse der Kamera; das Durchschreiten dieses
Spiegels stellt sich dar als der entscheidende Schritt ins Offene, d.h. in ein
Jenseits, das nicht mehr ‚von dieser Welt‘, nämlich von der Welt der Spaltung
zwischen Männlich und Weiblich ist; dieses Jenseits ist die Realität des
Unbewussten, die nichts anderen ist als die geschlechtliche Realität, die nun
allerdings nicht mehr dazu da ist, um den Fortbestand der menschlichen Art
zu sichern. Der Übertritt ins andere Reich bedeutet die Verbindung von
Geschlecht und Tod, wobei es sich bei diesem ‚Geschlecht‘ (das ‚Sexuelle‘) um
ein Geschlecht handelt, das jenseits einer Geschlechtung in männlich/weiblich
(.liegt. (Vgl. J. Derrida, Geschlecht (Heidegger), 1987/88-

Anders aber als beim Filmhelden, der sich am Ende des Films beim Gefilmt-Werden zuschaut (und diese Situation nur als eine unmögliche Metapher begreifen kann: als eine Situation, die jenseits von Leben und Tod situiert ist), kann der ‚wirkliche’ Filmzuschauer diesen gespenstischen Zustand nur als Inszenierung für seinen Blick wahrnehmen; Jacques Derrida nennt dies einen „Visier-Effekt“, wenn „wir uns gesehen fühlen von einem Blick, den zu kreuzen immer unmöglich bleiben wird“ (J. Derrida, Marx’ Gespenster, 1996); es handelt sich letztlich um einen blinden Blick, „von dem her wir das Gesetz erben“, das Gesetz des Vaters, dessen Stimme und Befehl wir ausgeliefert sind, blind unterworfen „unter sein Geheimnis, das Geheimnis des Ursprungs…“ (ib.). Der Übergang vom Leben zum Tod und darüber hinaus aber kann nur filmisch, als Schatten auf einer Leinwand gezeigt werden kann. Was dem Zuschauer bleibt, ist allerdings nicht ‚nichts’: Aufgrund der kinematografischen Verführung des Auges tut sich für einen Augenblick ein Blick in einen Abgrund auf, der aus psychoanalytischer Sicht jenem unmöglichen) Blick des Kindes auf den Sexualakt der Eltern, der zu seiner )
eigenen Entstehung geführt hat, gleicht: ein ‚entre-voir’ (ein Halb- oder
Da-Zwischen-Sehen), der (schon immer und immer schon) verbotene Blick
auf den Ursprung des eigenen Werdens und Seins aus der momentanen
Vereinigung zweier Signifikanten, die sich für einen Augenblick gegenseitig
als Subjekte – des Liebens – ‚erkannt’ haben. Es ist eine Welt jenseits der
Signifikanten, das ‚Reelle‘ (oder das ‚Reale‘), das sich dem Symbolischen
und dem Imaginären entzieht, das zugleich aber deren Ur−Sprung (im
.Sinne Heideggers) repräsentiert

Der Film deutet diese unmögliche Situation in einer kurzen Szene an, die
dem Auge des Zuschauers den Blick auf diesen Liebes-‚Akt’ zugleich freigibt
wie verwehrt: Die Liebesszene in der ‚realen’ Welt zwischen Chris und
Rheya wird abrupt ver- oder ge-schnitten mit der Liebesszene beider auf
der Raumstation während ihrer zweiten Begegnung: Der Filmschnitt macht
uns den Beginn auf der Erde und den Schluss auf Solaris ‚sehen‘; der
eigentliche Hauptteil (der ‚Akt’) fehlt… (und wurde laut Soderbergh
bewusst herausgeschnitten). – Dieser Moment situiert sich solchermaßen
tatsächlich in einem Jenseits – jenem „Jenseits des Lustprinzips“, das
Sigmund Freud in seinem berühmten gleichlautenden Aufsatz aufzuzeigen
versucht hat: Er kann – und muss? – immer von neuem wiederholt
werden, lässt sich aber niemals sistieren oder einfrieren, d.h. er kann
nie ‚sichtbar’ gemacht werden. – Es überrascht daher nicht, dass Soderberghs
Film gerade mit diesem zitierten Aufsatz Freuds konvergiert, wenn man
weiß, dass Freuds Artikel als Trauerarbeit über den Verlust seiner Tochter
Sophie und zugleich als Vorahnung seiner eigenen Sterblichkeit (Freuds
Mundhöhlenkrebs) entstanden ist. Film und Artikel kulminieren letztlich in
einer Apotheose, in einer Verklärung angesichts der menschlich-männlichen
.Vergänglichkeit


.I

Die erste Begegnung zwischen Chris Kelvin und Rheya 1 findet in
der ‚realen’ Welt, in einer U-Bahn statt. Rheya 1 sitzt etwas verlassen Chris
gegenüber und hält wie abwesend einen Türknauf in der Hand. – Soderbergh
berichtet, dass dieser Gegenstand der freien, spontanen Wahl der
Schauspielerin Natascha McElhone entsprungen sei. (Ist es ein Zufall, dass
der (Künstler-)Name der Schauspielerin auf dieses Alleinsein
anspielt?) – M.a.W.: schon die erste Begegnung verweist symbolisch auf die
Öffnung einer Tür, die einen Exit – einen Notausgang? (vgl. Shakespeares „exit
ghost“ in Hamlet) – aus der Ge- oder Abgeschlossenheit einer hermetischen
Welt sucht. Beide lernen Gemeinsamkeiten (die Poesie eines Dylan
Thomas) kennen, lernen sich lieben, auch wenn (oder gerade weil? – Chris Kelvin
fühlt sich als Psychologe herausgefordert) Rheya offensichtlich depressiv und
introvertiert ist; Rheyas Fluchten scheinen mit ihrer Mutterbeziehung zu tun
zu haben: Als sie Kind war, hat die Mutter irgendwann die Kommunikation (das
Sprechen) mit ihr eingestellt; mit der Mutter gab es nur noch ein non-verbales
Kommunizieren. Und dabei bleibt es bemerkenswert, dass sich Klein-Rheya
gleichsam selbst an den eigenen Haaren aus diesem sprachlosen familialen Sumpf
gezogen hat, indem sie sich in der – imaginären – Puppe „hinter der
Tapete“ einen „Bruder“ und Sprechpartner erschaffen hat, der ihr ein Leben
in Stummheit erspart und ihr die Mutter ersetzt; von da an kommuniziert die
Puppe Mikashelli mit ihr per Brief (also ‚buchstäblich‘ per ‚lettre‘). Jener
berühmten Anna O. ähnlich, wird Klein-Rheya gleichsam zur Erfinderin
einer „Sprechkur“, die jene ihrem Psychiater Dr. Freud erst beibringen
.musste; sie muss sich erst noch auf die Suche nach ihrem Freud begeben

Der erste Konflikt in der Liebesbeziehung (die zugleich eine Arzt-Patientinnen
Beziehung ist) bricht aus, als Chris ihr vorwirft, dass er zwar alles ertragen -
könne (ihre Depressionen, ihre Fluchten – die er immer wieder mit verordneten
Tabletten in den Griff bekommen will), nicht aber, „wenn sie sich vor ihm
versteckt“. Dieses Versteckspiel stand schon am Beginn ihrer
Liebesbeziehung, als Rheya sich in spielerischer Form immer wieder der
Antwort auf Chris‘ Heiratsantrag entzieht. – Hiermit scheint auch
Chris, entgegen anderslautender Versicherungen, selbst ein Problem zu
haben: Es ist zu vermuten, dass das Verschwinden, die Abwesenheit seiner
eigenen Mutter als Parallele zur kommunikativen Abwesenheit von Rheyas
Mutter zu werten ist; dass ihn diese Handlung bei Rheya so in Erregung
versetzt, verweist auf die eigene Traumatisierung. – Aber dennoch bildet
jene Abwesenheit der Mütter – das unerträgliche Fort-Da – zugleich die
Ursache sowohl der Bindung wie auch der Entfremdung zwischen den beiden
Liebenden. Diese Ambivalenz zeigt sich, wenn Rheya zwar widerwillig ihre
gesellschaftlichen Pflichten als Ehefrau eines arrivierten und erfolgreichen
Psychiaters übernimmt – small talk in Freundesrunde, Essen, Unterhaltung
etc. –, doch, sobald sich Gelegenheit bietet, davor flüchtet. Und das ausgerechnet
dann, wenn das Gespräch den Sinn des Lebens, die Existenz oder Nicht-Existenz
Gottes oder den „Nihilismus als Therapie“ thematisiert. – Der alles entscheidende
Konflikt zwischen den Liebenden bricht aber erst aus, als Chris erfährt, dass sie
aus Angst heimlich abgetrieben hat; sie hat Chris darüber nicht informiert, der
sich gerne ein Kind gewünscht hätte, um etwas „Leben“ in die für ihn
enttäuschende Gemeinschaft mit einer Depressiven zu bringen. Rheya wiederum
scheint hier diese – typisch männlich-amerikanische? – Sehnsucht von Chris
nicht erkannt zu haben. Es kommt zum Bruch zwischen den Eheleuten, und
Rheya bleibt verzweifelt zurück. Als Chris kurz darauf seine Affekthandlung
bereut, ist es zu spät: Rheya hat bereits mittels der von ihm verschriebenen
Tabletten Suizid begangen; in der Hand hält sie – als Testament – das Gedicht
von Dylan Thomas, das seit Beginn ihrer Liebe als Leitmotiv über ihrem Leben
:zu zweit steht

Die nackten Toten, die sollen eins„
.mit dem Mann im Wind und dem Westmond sein
Blankbeinig und bar des blanken Gebeins
.ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht
,Wenn sie irr werden
,soll’n sie die Wahrheit sehen
,wenn sie sinken ins Meer
soll’n sie auferstehen.
-Wenn die Liebenden fallen
.Die Liebe fällt nicht
.“Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben

Chris geht nun daran, dieses Trauma des Verlusts und des Verlassenseins zu bearbeiten, indem er Gruppentherapien für (durch den Suizid des Partners?) Verlassene anbietet. Er entspricht hier durchaus dem herrschenden Klischee, dass man nur das richtig weiter vermitteln könne, was man selbst erfahren
hat (vgl. Sozialarbeiter, Drogenabhängige, ‚Knackies‘ etc.), doch insgesamt
lässt sich daraus schließen, dass Chris sein Trauma weder be- noch
verarbeitet, sondern es eher durch die Arbeit mit anderen
verdrängt. – Die 2. Episode – wie auch alle folgenden – kann demnach
.logisch als „Wiederkehr des Verdrängten“ gedeutet werden


.II

Drei Jahre sind nach dem Tod von Rheya inzwischen vergangen. Chris Kelvin
befindet sich auf der Raumstation Solaris, die von einem privaten
-Unternehmen zur Ausbeutung des ökonomischen (‚trieb
ökonomischen‘?) Potenzials des Planeten Solaris veranlasst worden war. Mit
der Leitung war ursprünglich sein Freund Gibarian betraut, der ihn per
Videobotschaft − aus dem Reich der Toten, wie Chris erst später erfahren
muss − um psychologisch-wissenschaftliche Hilfe gebeten hat, da es auf der
Raumstation zu Vorkommnissen gekommen sei, die die gesamte Mission
gefährden. Auf der Raumstation angekommen, erfährt er, dass sein Freund
Gibarian inzwischen Suizid begangen hat und die Mannschaft bis auf eine
.Frau, die Wissenschaftlerin Dr. Gordon, und einen Mann, Snow, dezimiert ist

In Gesprächen mit den beiden Überlebenden erfährt er, dass der Planet
Solaris offenbar Kräfte besitzt, die Bildungen des menschlichen Unbewussten
oder Unterbewussten als reale Erscheinungen auftreten lassen können, sobald
die Menschen im Schlaf die Kontrolle über ihr bewusstes Ich verloren
haben. Überzeugt davon, dass einem wissenschaftlich denkenden Menschen
solche seltsamen Vorstellungen unverständlich erscheinen mögen, wollen
Dr. Gordon und Snow diese merkwürdigen Phänomene erst dann mit Chris
. diskutieren, wenn auch ihm Ähnliches erschienen ist

Und so geschieht es: Chris erfährt eine Wiederbegegnung mit Rheya 2 auf der Raumstation Solaris; es ist seine zweite Begegnung, die eigentlich eine, bzw. die ‚erste’, mit einem ‚Phantom’ ist (wenn man davon ausgeht, dass die erste Begegnung auf der Erde, also in der ‚realen’ Welt stattgefunden hat). Trotz der vorausgehenden Warnung durch die beiden Besatzungsmitglieder, trifft Chris die Erscheinung seiner seit drei Jahren toten Frau wie ein Schock: „Verdammt!“ – Rheyas Wiedergängertum, von dem Chris zunächst nicht weiß, ob es sich um die ‚reale’ Rheya oder um ein Phantom handelt, von dem er nicht weiß, ob es lebendig oder tot ist, wirkt auf ihn wie eine „berührbare Unberührtheit von jemandem als jemand anderem“ (Derrida, Marx’ Gespenster, 1996), in deren Gestalt immer das Verdrängte als Reales wiederkehrt. Die Antwort der Erscheinung auf seine etwas hilflose Frage, wo sie „jetzt“ sei, sollte ihm eigentlich signalisieren, dass das Gespenst keineswegs etwas absolut Fremdes für ihn ist: Rheya 2 antwortet wie selbstverständlich: „Ich bin zu Hause… bei dir!“ Rheya 2 gibt sich als ein ‚Ding’ zu erkennen, das zum Heim von Chris gehört, also gewissermaßen ‚home-made’ ist: ‚heimlich‘ als ‚heimisch‘. − Solche Bildungen des Unbewussten machen Angst nicht, weil es sich dabei um etwas Fremdartiges handelt, sondern weil sie dem betroffenen Subjekt allzu nahe sind; wie die Gespenster zeichnen sie sich aus durch eine Unheimlichkeit, die Sigmund Freud in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ präziser definiert hat: „Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich
.“ zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich
-
Chris‘ Reaktion auf die Erscheinung von Rheya 2 ist – trotz der vorherigen Warnung der Besatzungsmitglieder − von einer Panik gekennzeichnet, die sich leicht als der Effekt einer Wiederholung des Abwehraffekts bei der ersten Trennung (auf der Erde) erkennen lässt: Er lockt die Wiedergängerin in eine Rettungskapsel und sprengt die Entsetzte hinaus ins Weltall, um sie los zu
.werden

In dieser Abwehrhaltung trifft sich Chris mit Dr. Gordon und deren Absicht, die Wiederkehr des Verdrängten (das bei ihr als – kindlich-belustigtes? – Lachen in ihrer Kabine erscheint) gewaltsam zu unterdrücken – nur dass diese (afroamerikanische) Frau als Wissenschaftlerin und ‚schwarze‘ Physikerin ihre wissenschaftliche Rationalisierung zudem anreichert mit humanistischen Argumenten: „Sie ist eine Kopie! Sie lassen sich aufs Neue verführen. Sie sind krank! … Es ist nichts Menschliches!“ Gordon hat Angst, dass „sich alles auf der Erde tausendfach wiederholt!“ und sieht sich darin in der Verantwortung, als Wissenschaftlerin die Menschheit vor einer solchen Konstellation zu
.bewahren

Chris’ Gespräch mit den überlebenden Besatzungsmitgliedern kurz nach seiner Ankunft auf der Raumstation Solaris hatte schon zuvor Hinweise über die psychologische Wirkungsweise des Planeten Solaris zu Tage gefördert, die sich durch die Erscheinung Rheyas 2 voll bewahrheitet zu haben scheinen: Der Planet Solaris wirkt offenbar wie eine Maschine zur Erzeugung unbewusster Vorstellungen, die – bei allen Besatzungsmitgliedern − im Zusammenhang mit Schuldkomplexen stehen. Aufgrund der Belastung des Psychologen durch den Schuldkomplex am Tode seiner Frau lässt sich schließen, dass auch die Wiedergänger bei den anderen Besatzungsmitglieder nichts anderes als Bildungen oder Emanationen verdrängter Schuld sind: Bei Snow scheint es sich wahrscheinlich um eine unbearbeitete Bruderrivalität zu handeln, die zum Wiederauftauchen des Bruders geführt hat. Vielleicht geht es dabei sogar um Brudermord, denn das könnte die Reaktion des Bruderphantoms Snow 2 auf den ‚realen’ Bruder Snow 1, von dessen Existenz wir allerdings erst am Ende des Films erfahren, plausibel machen: „Mein Bruder erscheint nicht mehr…“ − und zwar deshalb, weil er ihn zuvor schon getötet hatte! − Hier zeigt sich ein kategorischer Unterschied zwischen den Phantomen auf und durch Solaris und den Menschen: die Phantome kennen die Wiederkehr des Verdrängten nicht, d.h. sie haben kein Unbewusstes! − Und kurz darauf erfährt man aus dem Geständnis von Snow 2 zwar nicht die Ursache von dessen mörderischem Tun, wohl aber die Absicht, die Snow 2 mit dem Mord verfolgt hat: „Ich würde töten, um zur Erde zurückzukehren!“ Die Solaris-Phantome kennen demnach zwar keine Unbewussten, aber sie zeichnen sich aus durch eine Art Begehren – nach einem Leben auf der Erde. Das Verlangen nach einem ‚realen‘ Leben lässt sich einerseits deuten als unendliche melancholische Sehnsucht der Toten nach dem ‚wirklichen‘ Leben, aber andererseits zugleich als Suche nach einem Ausweg (oder nach einem Notausstieg) aus einer Tat, die unter Wiederholungszwang begangen wurde, deren verursachender Mechanismus dem ‚Subjekt’ Snow 2 unbekannt bleibt und bleiben muss, weil es sich ja – wir wissen es − um ein Phantom handelt. Seine Reaktion lässt sich aber auch lesen als die Vorwegnahme jener Haltung, die Chris nach der Resurrektion von Rheya 4 dieser neuerlichen Erscheinung gegenüber einnimmt: Er trifft die „Entscheidung“, dass es von nun an keine Wiederholung mehr geben müsse: „Ich glaube an keine Wiederholung!“ Wie schon Snow 2 vor ihm wird Chris zum Verfechter einer Praxis der Neueinschreibung oder einer Umschreibung eines realen Ereignisses, das einmal traumatisierend gewesen war. – Hier könnte man in der Tat von einem psychoanalytischen Setting sprechen, denn Snow 2 führt schon zu Beginn an, dass das Phänomen des Wiedergängertums auf der Station Solaris nicht ausschließlich eine bloße Wiederholung im Sinne des Wiederholungszwangs zu sein braucht. Zwar ist die Wiederkehr des Verdrängten vom Wiederholungszwang nie ganz frei, es besteht allerdings die Aussicht, sie aufgrund einer „Wahl“ oder einer „Entscheidung“ (Gibarian) hin zu einem ‚Exit‘ ins Offene zu steuern und dadurch dem Wiederholungszwang
.zu entkommen

Im Falle Dr. Gordon scheint ebenfalls ein tief verwurzeltes Trauma die gespenstischen Erscheinungen zu befördern: Obgleich die Filmerzählung Form und Hintergründe von Dr. Gordons Phantomen nicht weiter ausführt, lässt sich dennoch einerseits aus der Abwehr Gordons gegenüber den „Wiederauferstehungen“ (sie kennt diese sehr genau) wie andererseits aus ihrer intransigenten Haltung gegenüber den Emanationen des Unbewussten auf ein ambivalentes Verhältnis gegenüber der Wiederkehr ihres eigenen Verdrängten schließen: Ihr Wille zur kompromisslosen Bekämpfung dieser Wesen, die „nichts Menschliches“ hätten, zeigt sich in einer Unversöhnlichkeit, die – hierin dem Brudermord im Affekt bei Snow 2 ähnlich – sogar vor dem Wunsch nach Vernichtung dieser Erscheinungen nicht Halt macht: „Ich will, dass es [sic!] aufhört! Es ist nichts Menschliches! … Ich will siegen!“ – Dass aber selbst diese radikalistische tabula-rasa-Haltung einer rationalen Wissenschaftlerin nicht ohne Fragezeichen bleibt, zeigt sich in der Äußerung ihrer Abwehr selbst: Die Konstruktion einer Annihilationsmaschine soll dazu führen, dass die Phantome „verschwinden dorthin, woher sie gekommen sind!“. Damit stellen sich automatisch die Fragen: Woher sind sie gekommen? Und: Warum bleiben sie nicht dort? – Dr. Gordons Abwehr wirft demnach mehr Fragen auf, als sich durch ihren radikal kämpferischen ‚Humanismus’ – wie manche das nennen könnten; andere, wie Chris z.B., könnten
.es ‚Anti-Humanismus‘ nennen – beantworten lässt

Auch die Erscheinung des Sohnes von Gibarian auf der Raumstation bleibt weitgehend ohne Erklärung. Gibarian wird später dazu – selbst als Wiedergänger! – ebenfalls eine logisch-rationale Haltung entwerfen. Auf Chris nach dem Phantoms seines Sohne auf Solaris angesprochen, wehrt Gibarian kategorisch ab: „Das ist nicht mein Sohn, mein Sohn ist auf der Erde!“ Seine Marionettenmetapher stellt allerdings auch diese Abwehr – wie bei Dr. Gordon –wieder in Frage: „Aber wie alle Marionetten denkst du, du bist ein Mensch. Das ist der Traum jeder Marionette.“ Damit setzt er sich letztlich engagiert für das ‚Leben’ der Phantome oder Geister ein: „Wir wollen keine
!“ neuen Welten, wir wollen Abbilder
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Die Marionettenmetapher ist der berühmten Geschichte des Dschuang Dsi vom Schmetterlingstraum Dschuang Dschous nachempfunden, dem einmal träumte, er sei ein Schmetterling, und der sich nach dem Aufwachen fragt, ob er nicht eher jener Dschuang Dschou sei, den sich der Schmetterling erträumt hat. − Der resignativ-melancholische Zug, der Gibarian bei diesem Zitat umgibt, signalisiert zusammen mit seinem Bekenntnis, sein eigener Suizid sei „ein Fehler“ gewesen, dass Gibarian zunächst ebenfalls durch das Wiedergängertum in Panik geraten war und (in einer Art Affekt?) als einzigen ‚Ausweg’ den Freitod gesehen hat: Hieraus lässt sich schließen, dass die Erscheinung seines Sohnes als Wiedergänger einen traumatischen Hintergrund gehabt haben mag und Gibarian sich erst im Schattenreich des Todes zu einem melancholischen Agnostiker hatte wandeln können. Nur so ist seine Warnung zu verstehen, die er Chris mitgibt: „Wenn du nach einer Lösung suchst, wirst du sterben!“ Sein Rat lautet: „Es gibt keine Antwort, nur
!“ Entscheidungen

Die Verkettung dreier so unterschiedlicher Worte wie „Lösung“, „Antwort“ und „Entscheidung“ rekapituliert drei mögliche menschliche Verhaltensweisen angesichts der Wiederkehr der Verdrängung. Die „Entscheidung“ verlangt nach einem Akt – einem „passage à l’acte“ (Jacques Lacan) −, den Dr. Gordon, Snow 2 und Gibarian auf je eigene Art begehen: Snow 2 als Brudermord, Gibarian als Suizid und Dr. Gordon als Erfinderin einer Annihilationsmaschine, die allem Verdrängten den Garaus machen möchte; Dr. Gordon wird selbst zu einer solchen humanistisch-anti-humanistischen Maschine. Die „Entscheidung“ wird demnach zu einem höchst politischen Akt und lässt sich nicht zufällig als ein Zitat von Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ lesen, die ihr Prinzip in der Unterscheidung von Freund und Feind, d.h. in der Alternative von Leben und Tod sieht. – Die „Lösung“ lässt sich durch eine Reflexion von Sigmund Freud erhellen, in der der Psychoanalytiker die Bedeutung des Los-Lösens mit der Bedeutung eines chemischen Lösungsprozesses verbindet; Freud knüpft dabei auch an das Bild vom Wollknäuel an, das ihm dazu dient, die „Lösung“ von psychischen Leiden zu veranschaulichen: der Analytiker ist allerhöchstens in der Lage, die psychischen Verwicklungen und Knoten zu lockern; ein Akt des Durchschlagens der berühmten Gordischen Knotens à la Alexander d. Gr. ist für den Psychoanalytiker keine „Lösung“. – Eine „Antwort“ schließlich, die Gibarian kategorisch ausschließt, die Chris aber ausdrücklich suchen will, besteht aus einem sprachlich-symbolischen Akt, der das Gegenstück – das griechische ‚sýmbolon‘ – zu einer Frage ist, die an das Subjekt des Menschen gestellt wird, eine Antwort, die Ver−Antwortung hat, zu (er-)finden. – Obgleich es so scheint, als ob der Film sich für den letztgenannten Weg stark macht – und Chris seinen „einzigen Zug“ in dieser Verantwortung finden könnte −, bleibt am Ende des Films die Frage offen; Steven Soderbergh kann sich letztlich für keine eindeutige Position engagieren; er führt die drei
.Möglichkeiten auf, lässt sie aber insgesamt in der Schwebe


.III

In der dritten Begegnung mit Rheya 3 hat sich Chris’ Einstellung gegenüber der ersten Erscheinung auf Solaris geändert: Er will die erneute Wiederkehr Rheyas jetzt dazu benutzen, um seinen Schuldkomplex anzugehen und eine Trauerarbeit im Sinne des Freud’schen Begriffs zu leisten. Er hofft auf eine zweite „Chance“, die Rheya 3 direkt anspricht: „Du hast mich gefunden; ich kam deinetwegen zurück. Es tut mir leid!“ – Diese Äußerung ist doppeldeutig, da sie sich sowohl auf den Suizid von Rheya 1 wie auch auf deren Wiederkehr als Rheya 3 bezieht. Die Wiederbegegnung soll die alte Begegnung unter neuem Vorzeichen nochmals durchspielen und nach einer neuen Lösung suchen lassen. Chris scheint demnach das symbolische Angebot, das ihm Rheya bei der allerersten Begegnung durch den Türknauf gemacht hat, endlich anzunehmen. Chris will jetzt seine „Schuld“ auf sich nehmen und mit Hilfe eines Phantoms abarbeiten; dennoch gibt es auch hier Wiederholungen aus der ‚realen‘ Welt, wenn er die Depressivität von Rheya 3 mittels Tabletten behandeln will: Er ist immer noch und vorwiegend in der Rolle des Psychiaters, d.h. des Arztes, und nicht als der Liebende in dem Sinne, dass er in der Lage ist, „zu geben, was man nicht hat“ (Jacques
.(Lacan
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Demgegenüber scheint Rheya 3 völlig sicher zu sein, dass die Empfindung, die sie Chris gegenüber zeigt, ‚wahre Liebe’ ist; und als sie von Gordon erfährt, dass sie schon einmal – als Rheya 2 – auf der Raumstation erschienen sei, ist sie darüber so verzweifelt, dass sie, um sich auf dasselbe menschliche Niveau wie Chris zu begeben, sogar flüssigen Sauerstoff einatmet, aus Angst, Chris könnte sie durch seine Abreise auf die Erde wieder verlassen und als Zeichen dafür, dass sie ihm auch auf die Erde folgen möchte. – Das Phantom, das zunächst nichts anderes zu sein scheint als die Ausgeburt der Fantasien von Chris, gewinnt Bewusstsein und findet damit zu einer eigenen
Lebensform (hierin eine Parallele zu Rachel in Ridley Scotts Blade
.Runner). Rheya 3 sucht zusammen mit Chris nach dem ‚Ausgang‘


.IV

Die vierte Begegnung mit Rheya 4 beginnt mit der Resurrektion der toten Rheya 3: Es ist bezeichnend, dass Dr. Gordon diese Wiederauferstehung nicht ertragen kann und flüchtet, während Snow wie abwesend zuschaut und nicht versteht, was Chris tut, als er Rheya 4 Hilfe zukommen lässt. Für Snow ist diese „menschliche“ Handlungsweise des Mitleid(en)s unbegreiflich − ist er doch, wie wir erst später erfahren, selbst nichts anderes als der Wiedergänger des ‚realen’ Snow, den er mörderisch aus dem Weg geräumt hat. Dass ein aus der Kraft von Solaris geborenes Phantom seine Existenz einem – menschlich-moralisch – verwerflichen Mord verdankt, könnte im Nachhinein die Haltung von Dr. Gordon den Phantomen gegenüber bekräftigen. – Der
.Film schlägt allerdings eine andere Bewertung vor

Chris wendet sich jetzt bewusst der wieder auferstandenen Rheya mit all seinen menschlichen Empfindungen des Mitleid(en)s zu und unterstützt sie in dieser seltsam-befremdlich anrührenden Situation der Wiedergeburt. Ab jetzt scheint er (endlich?) Abschied davon genommen zu haben, dass es sich hier um eine WIEDERHOLUNG handelt, denn mit apodiktischer Gewissheit hält er sein „Sie lebt!“ jeglicher rationaler Argumentation von Seiten Dr. Gordons entgegen. – Als die wiedergeborene Rheya sich an den Kopf greift und sich beklagt (ähnlich wie Chris das bei der ersten Begegnung mit ihr auf Solaris getan hat), tröstet er sie, indem er ihr versichert, dass es einer Wiederholung nun nicht mehr bedürfe: „Wir müssen unsere Vergangenheit nicht noch einmal wiederholen! … Wir können einen anderen Weg wählen!“ Er wirft gleichsam die alten Erfahrungen und Projektionen ab und geht daran, die Beziehung mit Rheya 4 als eine völlig NEUE Beziehung zu erleben: als eine Aufgabe − und das im doppelten Sinne des Wortes, selbst wenn dieses Aufgeben immer noch durchzogen ist vom Streben nach Sühne: „Hier [d.i. auf der Raumstation Solaris, HPJ] kann man auch diesen Fehler wieder gut machen.“ Rheya 4 antwortet auf ihre Art, indem sie zwar einerseits an ihrer Liebe zu Chris unerschütterlich festhält, andererseits aber die Differenz zwischen sich als Phantom und dem menschlich-lebendigen Chris anerkennt (oder sich dafür – in Gibarian’schen Sinne – bewusst entscheidet?), und akzeptiert, dass die
.Liebe beide niemals in der bestehenden ‚realen‘ Welt zusammenführen kann

Chris erfährt diese Differenz (die er zunächst aus seinem Denken ausgesondert hat) durch die wenig einfühlsame Reaktion Dr. Gordons, die Rheya 3 schon zuvor – wie ein Mensch ohne Gefühle gegenüber den Phantomen – von der Existenz von Rheya 2 im Weltall in Kenntnis gesetzt hat. Rheya 4 glaubt daraus erkennen zu können, dass NICHT IHR die Liebe von Chris gilt, sondern, dass sie als ERSATZ für eine andere – eine Andere HINTER – Rheya dient bzw. instrumentalisiert wird. (Wahrscheinlich bedurfte es noch dieser Selbstaffirmation ihrer Liebe, um Chris weiter zu erschüttern.) Rheya trifft deshalb eine „Entscheidung“ und sucht, wie vor ihr schon Gibarian, den Freitod – ein Opfer für Chris. Der kranke Chris sieht im Halbschlaf des Fiebers durch ein Loch in der Kabinentür, wie Rheya mit Dr. Gordon spricht. Das Loch hat Rheya offensichtlich nicht nur deshalb aufgebrochen, um aus der abgeschlossenen Kabine von Chris zu entwischen (hat er sie eingeschlossen, um sie von ihrem Plan, sich annihilieren zu lassen, abzubringen?), sondern auch um aus der hermetischen Situation, die die Liebesgeschichte mit Chris für sie bedeutet, auszubrechen (vgl. ihr ‚Maskottchen’ Türknauf!). Konsequent geht sie deshalb Dr. Gordon an, die mit ihrer Annihilationsmaschine die Macht besitzt, ihre Existenz als Phantom – die Existenz aller Phantome? (was mit einem Schlag den Menschen von seinem Unter- und Unbewussten ‚befreien’ könnte!?) – zu beenden. Rheyas testamentarische Videobotschaft benennt ebenso die Unmöglichkeit der Liebe zwischen Chris und Rheya wie sie gleichzeitig die Hoffnung auf eine ewige Liebe eröffnet: „Ich bin nicht sie, und doch hast du mich geliebt … Ich wünsche, wir können ewig mit diesem Gefühl leben.“ Die Sehnsucht nach ewiger Präsenz (der Liebe) hat Rheya demnach auch von den Menschen ‚geerbt’. – Diese Entscheidung wiederum stürzt jetzt Chris in die alles entscheidende Krise (eine rein filmische Sequenz ohne Worte, die einen Höhepunkt des Soderbergh’schen Films ausmacht): Im Fiebertraum sieht sich Chris immer mehr Rheya anverwandelt. – Der Film greift wieder und wieder zum Mittel der Wiederholung oder auch der Spiegelverkehrung im Verhalten beider Protagonisten, um deren Begegnung, und letztlich deren Verschmelzung optisch vorzubereiten; diese Metamorphose mündet schließlich in eine Überlagerung der Figuren Chris und Rheya – die Liebenden
.werden EINE PERSON

Nur scheinbar hat das überstandene Fieber Chris wieder der ‚realen’ Welt zurückgebracht. Er lässt sich zunächst von Dr. Gordons Argumenten überzeugen („Es ist ein Fehler sich emotional eins mit diesen Wesen zu machen! … Ich will siegen!“): Dr. Gordon bringt die Raumstation wieder unter die KONTROLLE des KI (= Künstliche Intelligenz)-Systems und Chris signalisiert die Absicht, mit ihr Solaris zu verlassen. Die Herrschaft der „Künstlichen Intelligenz“ über die Raumstation Solaris enthüllt nachträglich, dass es zuvor eine Herrschaft über Solaris gegeben hat, die nicht „künstlicher“, d.h. wissenschaftlich-rationaler Natur gewesen war (und es scheint prophetisch, dass ausgerechnet eine – schwarze − Frau als Wissenschaftlerin in ihrer Entschlossenheit zu „siegen“, die Wegebereiterin und Befürworterin der Herrschaft der Künstlichen Intelligenz ist). Es war die Herrschaft des Planeten Solaris, die im ganzen Film regelmäßig in Zwischenschnitten mit dem Blick auf Solaris gezeigt wird; Solaris verwandelt sich dabei in fast einem Dutzend unterschiedlicher Intervalle vom kalten Blau
. schließlich zum leuchtenden Rot einer Sonne

Der durch die Krankheit gegangene Chris zögert erst im allerletzten Moment: Er verharrt vor der Rettungskapsel mit Namen „Athena“ (d.h. die dem Haupt von Zeus Entsprungene) und bleibt zurück in der Raumstation (mit Namen „Prometheus“), die nach dem Abkoppeln des Rettungsschiffs wie in einem Geschlechtsakt in Solaris – der im Englischen Original weiblich
mit „she“ angesprochen wird – eintaucht und mit diesem Planeten
.verschmilzt

In einer mystischen, Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum nachempfundenen Begegnung trifft Chris auf ein Kind (er selbst? das Kind, das er sich immer gewünscht hat?, Gott?), das ihm in der bekannten Michelangelo’schen Geste die Hand reicht, die Chris nach kurzem Zögern ergreift. Damit tritt er ein in jene neue Welt, in der, nach den Worten von Dylan Thomas, dem Tod „kein Reich“ mehr bleibt. Chris wird zu einem jener Phantomgebilde, von denen er bisher nur geträumt zu haben scheint: die Wunde an seinem Finger heilt nun von selbst, genau wie Rheyas Wunde
.vom flüssigen Sauerstoff


.V

Die letzte, fünfte, Episode zeigt die Begegnung von Chris (dessen Erscheinungen man nun nachträglich auch nummerieren müsste) und Rheya 5, die auf seine Frage, ob er nun lebendig oder tot sei, antwortet: „So müssen wir nicht mehr denken. Wir sind nun zusammen. Was wir auch getan haben, es ist vergeben. – Einfach alles!“ Es ist dies die einzig mögliche Antwort auf eine Situation, die die ewige Präsenz der Liebe bedeutet; denn diese Frage hat in ‚dieser’, d.h. der neuen Welt eines Jenseits von Leben und Tod, ihre
.Gültigkeit verloren

Wie in Richard Wagners Oper Der Fliegende Holländer musste sich erst eine Frau opfern, damit der Mann erlöst wird. Die – amerikanische – Idealisierung der Liebe siegt über das Leben und den Tod, und gegen die Version von Tarkowskij, in der gerade die ‚reale’ Welt als eine Ausgeburt des Geistes, des Gedankens, des Wunschs, des Unbewussten… gezeigt wird, verkehrt Soderbergh diesen Schluss in sein Gegenteil, indem er die ‚reale’ Welt hinter sich lässt und die Protagonisten in eine ideale-phantasmatische Welt eintreten lässt. Jetzt gibt es keine „Antwort“ mehr, geschweige denn eine Auflösung des Rätsels um Solaris, sondern einfach bloß die Gegenthese zur ‚realen’ Welt: Alles hängt von einer „Entscheidung“ (Gibarian) des Filmemachers ab! – Soderbergh nennt das, die „literarische“ oder „poetische“ Lösung, im
.Gegensatz zur sog. „metaphysischen“ von Tarkowskij

Die Wiederholung der Anfangssequenz des Films (in der sog. realen Welt) führt den Zuschauer heraus aus der narrativen Welt des Films hin zu jener eingangs schon skizzierten Reflexion des Films und des Kinos als Apparat oder als Maschine, die unbewusste Wünsche ‚wirklich’ machen kann. Der leitende Wunsch von Chris ist die Versöhnung, d.h. die Transgression eines Schuldzusammenhangs, die im ‚wirklichen’ Leben versäumt wurde und
.im ‚neuen’ Leben in einer Hegel’schen dialektischen Volte aufgehoben ist

In der Vorstellung der idealistisch-romantischen Liebe (des 19. Jahrhunderts, vgl. Roman und Oper) ist die ‚wahre Liebe’ als ewige Präsenz nur möglich in einem Jenseits, das als Verklärung, als Transfiguration gedacht werden kann. Die Romantik findet in ihrem Leiden an der aufkommenden industriell-kapitalistischen und mechanisierten Welt den Ausweg nur in einem Jenseits des ‚wirklichen’, als hässlich empfundenen Lebens; es käme allerdings darauf
.an, die Liebe eben für das Diesseits zu wappnen

Ausgehend von dieser Prämisse, ließe sich in der Metamorphose von Chris und Rheya auch die Herausbildung jenes Doppelgängertums ersehen, das „ursprünglich eine Versicherung gegen den Untergang des Ichs, eine «energetische Dementierung der Macht des Todes» (O. Rank)“ war. (S. Freud, Das Unheimliche) Es zeichnet sich aus durch „das Auftreten von Personen, die wegen ihrer gleichen Erscheinung für identisch gehalten werden müssen, die Steigerung dieses Verhältnisses durch Überspringen seelischer Vorgänge von einer Person auf die andere (…), so dass der eine das Wissen, Fühlen und Erleben des anderen mitbesitzt, die Identifizierung mit einer anderen Person, so dass man an seinem Ich irre wird oder das fremde Ich an die Stelle des eigenen versetzt, also Ich-Verdoppelung, Ich-Teilung, Ich-Vertauschung – und endlich die beständige Wiederkehr des Gleichen…“ (ib.) Die Vorstellung des Doppelgängertums entsteht im primären Narzissmus und kann einerseits in der Überwindung dieser Phase der Versicherung des Fortlebens „zum unheimlichen Vorboten des Todes“ (ib.) werden, andererseits, so konstatiert Freud, kann sich aber auch eine Instanz herausbilden, „welche sich dem übrigen Ich entgegenstellen kann, die der Selbstbeobachtung und Selbstkritik dient, die Arbeit der psychischen
.“ Zensur leistet und unserem Bewusstsein als «Gewissen» bekannt wird

M.a.W.: die Geschichte, die uns Soderberghs Film von der Wandlung des Chris Kelvin erzählt, kann aus dieser Sicht als Herausbildung des Gewissens gedeutet werden, die Chris durch den schmerzhaften Verlust von Rheya gewissermaßen nachholen musste. Damit hätte der Film in der Tat eine Gegenposition zum Klischee der romantischen Liebe aufgezeigt. Der Film hätte sich damit als jene Art von Fiktion, Phantasie, Dichtung etc. zu erkennen gegeben, in der „vieles nicht unheimlich ist was unheimlich wäre, wenn es sich im Leben ereignete“ (S. Freud, ib.); was Freud einst für die dichterischen Phantasiebildungen allgemein konstatierte, könnte so auf den Film übertragen werden: „Die Seelen der Danteschen Hölle oder die Geistererscheinungen in Shakespeares Hamlet, Macbeth, Julius Caesar mögen düster und schreckhaft genug sein, aber unheimlich sind sie im Grunde ebenso wenig wie etwa die heitere Götterwelt Homers.“ „Anders nun, wenn der Dichter [oder in unserem Falle: der Filmemacher, HPJ] sich dem Anscheine nach auf den Boden der gemeinen Realität gestellt hat. Dann übernimmt er auch alle Bedingungen, die im Erleben für die Entstehung des unheimlichen Gefühls gelten, und alles, was im Leben unheimlich wirkt, wirkt auch so in der Dichtung [respektive im Film, HPJ]. (…) Wir reagieren auf seine Fiktionen so, wie wir auf eigene Erlebnisse reagiert hätten; wenn wir den Betrug merken, ist es zu spät, der Dichter hat seine Absicht erreicht…“ Doch, was beim Leser bzw. beim Zuschauer bleibt, ist ein „Gefühl von Unbefriedigung, eine Art von Groll über die versuchte Täuschung…“ Wir sind dann nicht mehr, wie Th.W. Adorno es erhoffte, Zeuge des „Augenaufschlags der Natur“, die uns den Weg zur Versöhnung zwischen Mensch und Natur eröffnet, sondern die Kamera- und die Projektorlinse, also künstliche Augen, nehmen uns auf diese Reise mit. Und so verwandelt sich daher in der Schlusseinstellung des Films der Planet Solaris in ein glühendes Auge, das den Zuschauer von der Leinwand herunter anblickt. Der Weg der Selbsterkenntnis im Labyrinth endet nicht mehr vor
.dem Ungeheuer im Spiegel, sondern vor dem Loch der Kamera


.VI

Nachdem in den vorausgehenden Abschnitten die Person der Frau (Rheya) in verschiedene Personen aufgespalten wurde, die Frau also gleichsam filmisch zerschnitten wurde wie in Hitchcocks „Psycho“ (unter der Dusche), ließe sich ein solches technisches Vorgehen durchaus deuten als männlich-patriarchalische Rache für ein Vergehen der Frau, das letztlich dem Film-Plot zugrunde liegen könnte: erst durch den Frei- oder Opfertod Rheyas aus Verzweiflung über eine ‚unmögliche’ Liebe zu Chris kommt die Filmerzählung in Gang und führt fast in logischen Schritten zur Konversion des Mannes und
:zur Transfiguation der Liebe in ein Jenseits der ‚realen’ Welt

Die Interpretation unterstellt, dass der Mann, Chris, eine Wandlung-
durchmacht, die ihm am Ende des Films erlaubt, die verpasste
...Begegnung mit Rheya neu aufzunehmen und ‚endlich’ zu leben

Die Metamorphose des Mannes wird zurückgeführt auf eine mehr oder-
weniger konsistent zu sehende Frauengestalt, die an ihrem Begehren festhält und es schließlich sogar durchsetzt. Doch, wie Lacan postuliert: der Mensch
...sollte seinem Begehren „nachgehen“, nicht aber „nachgeben

Diese Differenzierung führt konsequent zu einem abschließenden Blick auf -
die Frauengestalt Rheya, dieses Mal allerdings nicht in ihrer Aufspaltung, sondern auf eine Gestalt, die als Ganzes zu sehen wäre. D.h. wir versuchen, Rheya als eine ‚reale’ Figur zu deuten, indem wir ihren Symptomen, wie sie
.sich im Film ausdrücken, nachgehen

Schon die erste Szene, in der Rheya auftaucht – die Begegnung mit Chris in der U-Bahn – zeigt eine Frau, die verloren und einsam im U-Bahn-Abteil sitzt und deren einziger ‚Halt’ ein Türknauf ist, den sie fest in der Hand hält. Dieser Türknauf lässt auf eine Handlung oder eine Art ‚Kampf’ schließen, der mit einer Tür zu tun hat, von der sie den Knauf als Erinnerungsteil (im Sinne eines Partialobjekts) mitgenommen hat und seitdem mit sich trägt. Es ist zu vermuten, dass sie jene Tür, zu der der Knauf gehört, wohl nicht durchschritten hat: das krampfhafte Festhalten des Knaufs steht vielmehr für den Wunsch, eine Tür öffnen zu wollen − ein Wunsch, den sie zwar in sich
.trägt, aber noch nicht zu verwirklichen imstande gewesen war

Wie oben vermutet, könnte die Tür ein Ausgang sein, ein ‚Exit‘, aus einer Lebenslage, die in eine Sackgasse mündet und die nach einem Notausgang ruft. Der Blick auf Chris, nach dem Ausstieg aus der U-Bahn, mag ebenso einer Aufforderung gleichkommen wie ihr erster Satz, den sie in Gibarians Wohnung an Chris richtet: „Versau’s bloß nicht!“ – Auch auf Gibarians Party sitzt Rheya allein und fordert Chris als Mann und Psychologe geradezu heraus. Und Gibarian scheint sie und ihre Strebungen zu kennen, als er Chris
!...auf Rheya aufmerksam macht mit den Worten: „… aber es lohnt sich

Im Gegensatz zur Schlusseinstellung des Films führt uns der Beginn eine Frau vor, die von Chris, also dem Mann, etwas erwartet oder erhofft, während am Ende er es ist, der sich nach der Frauengestalt gerichtet hat und ihr in einen Ausgang gefolgt ist, der normalen Menschen (Männern) nicht offen zu stehen
.scheint

?Wie kommt es innerhalb des Films zu dieser Verkehrung

Die Einsamkeit und Traurigkeit, die Rheya von Anfang an ausstrahlt, ist unschwer als Melancholie zu deuten, deren Ursprünge in der frühen Kindheit Rheyas zu suchen sind: Der Abbruch der Kommunikation seitens der Mutter führt Klein-Rheya zu einer Art Autismus, in dem sie sich den Spiel- und Kommunikationskameraden Mikashelli erfindet, der ihr die traumatische Trennung von der Mutter erträglich macht. Andernfalls wäre sie wohl ganz verstummt und hätte sich in sich psychotisch eingeschlossen und von der Welt absondert. Auf das Ich fällt, folgt man Sigmund Freud in seiner Abhandlung „Trauer und Melancholie“ (1915/1917), so „der Schatten des [Liebes-] Objekts… auf das Ich, welches nun von einer besonderen Instanz wie ein Objekt, wie das verlassene Objekt, beurteilt werden konnte. Auf diese Weise hatte sich der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt, der Konflikt zwischen dem Ich und der geliebten Person in einen Zwiespalt zwischen der Ichkritik und dem durch Identifizierung veränderten Ich“. (Ib.) Dass die Mutter sich von der Tochter abwendet (über die Gründe erfahren wir nichts), führt bei der Tochter zum Gefühl der Entwertung der eigenen Person, umso mehr als mögliche Gründe dafür, die außerhalb ihrer Person liegen könnten, dem Kind nicht zu erkennen sind. Für Klein-Rheya musste der Grund für die Abwendung der Mutter in oder an ihr selbst liegen. Der Selbstvorwurf wird zudem durch einen Ambivalenzkonflikt kompliziert, der darin besteht, dass „Hass und Liebe miteinander ringen, die eine, um die Libido vom Objekt zu lösen, die andere, um diese Libidoposition gegen den Ansturm zu behaupten.“ (Ib.) Solche Einzelkämpfe führen nach Freuds Beobachtungen dazu, dass sie sich ins Unbewusste verlagern, wo sich, durch Aktivierung von anderem Verdrängten, die Libidobesetzung (in der Regression) aufs Ich zurückziehen und „als ein Konflikt zwischen einem Teil des Ichs und der kritischen Instanz [dem Gewissen] repräsentiert werden kann“. (Ib.) Ein solcher ‚Ausweg’ – nämlich die Trauer – ist allerdings dem Melancholiker verwehrt, denn Trauer scheidet sich von Melancholie nach den Phasen von Verlust des Objekts, der Ambivalenz und der Regression der Libido ins Ich an der Schwelle zur dritten Phase: „Hat sich die Liebe zum Objekt, die nicht aufgeben werden kann, während das Objekt selbst aufgegeben wird, in die narzisstische Identifizierung geflüchtet, so betätigt sich an diesem Ersatzobjekt der Hass, indem er es beschimpft, erniedrigt, leiden macht und an diesem Leiden eine sadistische Befriedigung gewinnt.“ (Ib.) – Rheyas Hass gegenüber der Mutter wendet sich gegen das Ich selbst und lässt die verliebte Rheya in der Beziehung zu Chris den alten Ambivalenzkampf entbrennen (vgl. ihr Flüchten vor dem Hochzeitsantrag oder vor dem Freundeskreis von Chris), von dessen Wiederaufleben sie sich einen Ausweg aus der Sackgasse der Melancholie erhofft; von den alten Kämpfen rührt demnach der Türknauf, den sie sich gleichsam aus der Vergangenheit mitgenommen hat, um in einer
.möglichen Zukunft die passende Tür zum Ausweg zu finden

Als sich auch Chris von ihr abwendet (im Konflikt um ein abgetriebenes Kind), fällt sie auf die alte Haltung der Selbstvorwürfe zurück; das „Rätsel der Selbstmordneigung“ (Freud) findet hier seine Erklärung. Wie Freud „haben
wir] als den Urzustand, von dem das Triebleben ausgeht, eine so großartige]
Selbstliebe des Ichs erkannt, wir sehen in der Angst, die bei Lebensbedrohung auftritt, einen so riesigen Betrag der narzisstischen Libido frei werden, dass wir es nicht erfassen, wie dies Ich seiner Selbstzerstörung zustimmen könne. Wir wussten zwar längst, dass kein Neurotiker Selbstmordabsichten verspürt, der solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich zurückwendet, aber es blieb unverständlich, durch welches Kräftespiel eine solche Absicht sich zur Tat durchsetzen kann.“ Das Ich wird
wie auch schon im Verliebtsein) gänzlich vom Liebesobjekt überwältigt. Der)
Mann Chris tritt durch seinen totalen Abbruch der Kommunikation mit Rheya auf in Gestalt der Mutter – als deren Wiedergänger! – und stürzt die Frau in die Selbstzerstörung, da sie dieses Mal eines Mikashelli entbehrt. Ihre
.Vorahnung des „Versau’s ja nicht!“ hat sich negativ bewahrheitet

Als sich Chris vielleicht dieser Rolle bewusst wird und zurückkehrt, ist es zu spät: statt die Tür zum Notausgang zu finden, zu dem der Türknauf passen sollte, sah sich Rheya gezwungen, eine andere Tür zu benutzten, d.h. die Tür zum Jenseits aufzustoßen, die ihrem Leiden ein Ende bereiten sollte. Und so lässt sich die Materialisierung Rheyas auf Solaris deuten als Wiederkehr des Verdrängten bei Chris, der den verschiedenen Stadien von Rheyas Ambivalenzkämpfen nochmals ein „Stadion“, eine Arena bietet, indem er sich
.mit den unbewussten Bildungen Rheyas identifiziert

Diese Identifizierung ist buchstäblich zu nehmen: Chris macht sich, nach dem Tode von Rheya, Ein BILD von ihr – und nicht zufällig mahnt ihn Rheya 2 an die Wohnung, in der keine BILDER zu sehen sind. Chris’ Versagen in der Liebesbeziehung lässt ihn die Wege der Vergangenheit erneut abschreiten, um das Verdrängte an den Tag kommen zu lassen. Es übernimmt für Rheya die Aufgabe, den Ausweg aus der suizidalen Melancholie zu finden und sich auf den Weg der Trauer zu machen – und dies im doppelten Sinne: Chris leistet seine eigene Trauerarbeit zusammen mit der Trauerarbeit von Rheya. So erklärt sich schließlich das Zusammenfließen beider Personen am Ende des Films. Soderberghs „poetischer“ Ausgang des Films steht aber zugleich auch als Gegenbeispiel gegen den Umgang – oder besser: Nicht-Umgang – mit dem Verdrängten bei den anderen der von den Bildungen des Unbewussten
.von Solaris betroffenen Personen: Gibarian, Snow und Dr. Gordon

Zugleich fungiert der Film auch als Einladung an die Zuschauer, sich ihrer eigenen Trauerarbeit zu stellen. Aus diesem Grunde ist auch der enorme Misserfolg des Film in den USA zu erklären: Soderbergh unternimmt nichts weniger, als Freud ein zweites Mal in die USA einreisen zu lassen; denn schon das erste Mal musste sich Freud sagen, dass die Amerikaner wohl nicht wussten, wen sie sich eingeladen hatten. Er sah sich als jemand, der ihnen „die Pest“ bringt – ein „Nosferatu“! −, und so einer ist bekanntlich
.niemandem willkommen

Nicht einmal bei einer filmischen Wiederholung der Reise nach fast einem
!Jahrhundert


(Steven Soderbergh: Solaris (USA 2002
Produzenten: Charles V. Bender (Ko-Produzent), James Cameron
Produzent), Gregory Jacobs (Leitender Produzent), Jon )
Landau (Produzent), Michael Polaire (Ko-Produzent), Rae
Sanchini (Produzent), Musik: Cliff Martinez, Kamera: Steven
:Soderbergh (als Peter Andrews), Schnitt: Steven Soderbergh, Casting
Debra Zane, Bauten: Philip Messina, Art Direction: Steve Arnold, Keith
,P. Cunningham, Set Decoration: Kristen Toscano Messina
.Kostüme: Milena Canonero, Make-up: Waldo Sanchez (hair stylist: Mr
Clooney), Production Management: Michael Polaire, Second Unit
Director/Assistant Director: Gregory Jacobs. Nach der Novelle von
Stanislaw Lem, Drebuch: Steven Soderbergh. Darsteller: George
Clooney (Chris Kelvin), Natascha McElhone (Rheya Kelvin), Viola
.Davis (Helen Gordon), Jeremy Davies (Snow), Ulrich Tukur (Dr
Gibarian), John Cho (DBA Emissary #1), Morgan Rusler (DBA
.Emissary #2), Shane Skelton (Gibarians Sohn), Donna Kimball (Mrs
Gibarian), Michael Ensign (Friend #1), Elpidia Carrillo (Friend #2), Kent
Faulcon (Patient #1 (als Kent D. Faulcon)), Lauren Cohn (Patient #2 (als
.Lauren M. Cohn) u.v.a.m
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:Literatur
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Derrida, Jacques, Geschlecht (Heidegger) – Sexuelle Differenz, ontologische Differenz, Heideggers Hand (Geschlecht II), 1987; dt. Wien (Passagen) 1988
ders., Marx‘ Gespenster – Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, 1993; dt. Frankfurt am Main (Fischer) 1996
Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, Düsseldorf und Köln (Diederichs) 1982
Freud, Sigmund, Trauer und Melancholie (1915/17), in. S.F. Studienausgabe Band III, Frankfurt am Main (Fischer) 1975
ders., Das Unheimliche (1919), S.F., Studienausgabe Band IV, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
ders., Jenseits des Lustprinzips (1920), S.F., Studienausgabe Band III, Frankfurt am Main (Fischer) 1982
der., Massenpsychologe und Ich-Analyse (1921), S.F., Studienausgabe Band IX, Frankfurt am Main (Fischer) 1974
Lacan, Jacques, Das Seminar: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse (1964), dt. Olten und Freiburg i.Br. (Walter) 1980
Lem, Stanislaw, Solaris, München (dtv) 1983
Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen (1932), Berlin (Duncker und Humblot) 1963
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V.05, Frankfurt am Main, im Februar 2009
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